WARUM KRIEG?
Auf knapp 400 Seiten nähert sich der radikale Humanist und Inhaber vom Zentrum für Politische Schönheit Philipp Ruch in seiner Gefühlsgeschichte den psychologischen Ursachen von Krieg und der Motivation Kriege zu führen.
Wie geht es Dir? – So beginnen wir meistens ein Gespräch oder führen Smalltalk, versuchen eine Konversation anzufangen oder sie schnellstmöglich zu beenden, in dem wir einfach mit >>Gut.<< antworten. Die Auskunft über das Gefühlsleben eines Menschen offenbart viel über seine Handlungsmotivation. Das hat auch der Inhaber vom Zentrum für Politische Schönheit Philipp Ruch erkannt. Er widmet sein wissenschaftliches Werk >>Ehre und Rache. Eine Gefühlsgeschichte des antiken Rechts.<< den beiden Begriffen >>Ehre<< und >>Rache<<. Für ihn sind beide Wörter wichtige Elemente beziehungsweise Emotionen, die politisches Verhalten und Entscheidungen beeinflussen und Prognosen möglich machen.
Ziel ist nicht eine Erklärung, warum und wann die Ehre die Köpfe und Herzen der Menschen verlassen hat, sondern warum sie diese überhaupt regieren konnte. […] Woraus gewinnen Ehre und Rache ihre Handlungs- und Gefühlsmächtigkeit? (S.28)
Der Autor nähert sich den beiden Begriffen >>Ehre<< und >>Rache<<, in dem er die antike Geschichte von der homerischen bis zur klassischen Zeit nach Zeugen absucht. Für die Arbeit wurde eine Unmenge an Studien herangezogen, die neben Historie, Prosa, Epos und Drama umfasst. Ruch vollbringt hier eine unglaubliche Rechercheleistung. Bei dem Begriff >>Rache<< verlässt sich er ausschließlich auf Epos und Dramatik, um aufzuzeigen, wie >>Rache<< als Emotion das antike Rechtssystem bestimmt hat. Beziehungsweise er verwendet fiktive Literatur als verlässliche Quellen, um Ehre und Rache als Emotionen aufzuführen, die das antike Recht organisiert haben. Auf die These, weshalb Dichtung bedeutender als Geschichtsschreibung sei, geht er nur kurz ein:
Die Dichtung nämlich stellt etwas Allgemeines, die Geschichtsschreibung Einzelnes dar. Geschichte beschäftigt sich mit dem konkreten Einzelfall, Dichtung mit dem Allgemeingültigen. […] GERKE wertet Tragödien als zuverlässige Quellen, >>weil der Komplex der Rache und Vergeltung mit all seinen Aspekten und Facetten, nirgends umfassender thematisiert, intensiver, durchdrungen und anschaulicher dargestellt wurde<<. (S.59ff./ Vgl. Gerke, Hans-Joachim: Die Griechen und die Rache. Ein Versuch in historischer Psychologie, in: Franke, Herbert [u.a.] Hrsg.: Saeculum. Jahrbuch für Universalgeschichte. Band 38, Freiburg/ München, 1987. S.125.)
Dabei ist der Punkt, wieso fiktive Literatur als verlässliche Quelle genutzt werden kann, um reale Sachverhalte zu beschreiben von entscheidender Bedeutung und hätte ausführlich diskutiert werden müssen. Unter anderem weil er die beiden Begriffe >>Ehre<< und >>Rache<< indirekt durch fiktive Literatur bestimmt. In Teilen wirkt die Argumentationsstruktur von Ruch porös und lässt seine Vorgehensweise schwer erkennen. Oft neigt der Autor auch zu Pauschalisierungen, wie
Allerdings sprechen die Philosophen nicht von Mächten oder Antrieben, sondern von Zielen. (S.84f.)
Ruch nimmt hier explizit Bezug auf Aristoteles, reduziert aber ohne Belege die ganze Philosophiegeschichte auf die aristotelische Philosophie; wobei ironischerweise laut dem Philosophen Alfred North Whitehead alle abendländische Philosophie Fußnoten zu Platon sind. Obwohl das Werk einige schwächen in seiner Argumentationsweise besitzt, ist es dennoch ein gelungener Wegweiser durch die antike Gefühlsgeschichte und versucht hinreichend zu klären, inwiefern Emotionen eine Rolle im antiken Recht einnehmen. Dem Leser wird deutlich, welche Kraft die Emotionen Ehre und Rache auf das menschliche Verhalten haben und in welcher Form diese Gefühle mögliche Erklärungen für Krieg wären.
PHILIPP RUCH: >>EHRE UND RACHE. EINE GEFÜHLSGESCHICHTE DES ANTIKEN RECHTS<<. Frankfurt/ New York: Campus Verlag, 2017.| Preis: 39,95 € | http://www.campus.de/autoren/philipp_ruch-5385.html
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