Berliner Theatertreffen: „Begnügt Euch doch ein Mensch zu sein!“

Berlin • Den Auftakt des 61. Theatertreffens machte im Kant-Jahr Ulrich Rasches Inszenierung „Nathan der Weise“ mit der herausragenden Valery Tscheplanowa – ein rezenter Start der Festspiele mit dem Gedanken von Toleranz.

Nathan der Weise | Nicola Mastroberardino (Saladin) und Valery Tscheplanowa (Nathan) © SF | Monika Rittershaus

Das 61. Berliner Theatertreffen hätte nicht besser beginnen können, als mit Rasches Inszenierung von Lessings Drama „Nathan der Weise“, welches zwar seine Uraufführung bei den Salzburger Festspielen 2023 feierte, aber mehr als sonst den politischen Zeitgeist trifft. Dank Rasche befindet sich das Publikum in vom Militär besetzten Jerusalem. Hier lebt Nathan, ein reicher Jude, mit seiner Pflegetochter, Recha, die beinahe bei einem Hausbrand ums Leben gekommen wäre, hätte sie nicht der junge Christ gerettet. Trotz aller religiösen Vorbehalte gegenüber Juden, trifft sich der junge Lebensretter mit Nathan.

Sind Christ und Jude eher Christ und Jude, als Mensch?“

Nathan sagt zu dem Tempelherrn, „Verachtet mein Volk so sehr Ihr wollt. Wir haben beide uns unser Volk nicht auserlesen. Sind wir unser Volk? Was heißt denn Volk? Sind Christ und Jude eher Christ und Jude, als Mensch?“

Nathan der Weise | Ensemble © SF | Monika Rittershaus

Lessings aufklärerische Werk, das aufgrund seiner Ringparabel zur religiösen Toleranz aufruft und erklärt, dass keine objektive Wahrheit auf der Metaphysik fußt, lebt in Rasches Arbeit auf einer neoklassizistischen Bühne, die neben einer Drehscheibe mit zwei bewegenden Elementen durch Säulen ergänzt wird. Die Säulen geben dem minimalistisch und eher kalt gehaltenen Setting etwas Wärme. Sie ermöglichen mit sanftem Lichtspiel hervorragende Übergänge, schaffen Räume und Wände, die ästhetisch sind.

Wissen und Macht sind die zentralen Instrumente der Aufklärung

Rasches Minimalismus mit neoklassizistischen Elementen wirkt düster, bringt aber das anstrengende Schauspiel uneingeschränkt hervor und lässt ebenfalls zu, dass mensch sich auf das gesprochene Wort konzentrieren kann. Die Kostüme der Darsteller:innen sind hauptsächlich in schlichten Kontrasten gehalten, tragen eher subtil zur Geschichte bei, in dem sie beispielsweise Verbindungen unter den Spielern offenlegen.

Das lässt sich gut im ersten Treffen zwischen dem jungen Tempelherrn (Mehmet Ateşçi) und Recha (Julia Windischbauer) erkennen, dort sind beide gleich gekleidet, was als subtilen Hinweis auf ihre gemeinsame Herkunft interpretiert werden kann. Weiter ist Nathan als einziger Charakter in Grau gekleidet; Grau wird oft mit Weisheit assoziiert. Darüber hinaus ist Nathan, der einzige Jude im Stück.

Am Ende vereint die dramatische Erzählung die aufklärerischen Elemente, Wissen (Nathan) und Macht (Sultan Saladin). Nathan und der Sultan sühnen sich in einem Toleranzgedanken aufgrund von Verwandtschaftsbeziehungen. Recha und der Tempelherr sind nämlich Geschwister und Saladin ist deren Onkel. Ein friedliches Zusammenleben erscheint nun möglich.

Eine Ringparabel wird keine tagesaktuellen Konflikte lösen

Die Zwiste von Lessings „Nathan“ entstehen aufgrund von Religion und Nation. Und werden erst durch die Wiederbelebung des verlorenen Gedächtnisses vom Mensch-Sein beigelegt. Vermutlich wird eine Ringparabel über Toleranz keine tagesaktuellen Konflikte lösen, aber Rasche und sein Ensemble beweisen mit ihrer Arbeit, dass „Nathan der Weise“ schmerzlich den Zeitgeist trifft und als Auftakt von den Berliner Festspielen gut gewählt ist.

Nicht nur, weil das aufklärerische Drama dem Kant-Jahr mehr als würdig ist, sondern auch, weil es mit seiner neoklassizistischen Ästhetik Lessings schweren Text zugänglich macht. Die Inszenierung unterhält und vermittelt gelungen einen Konflikt, der unsere Zeitströmung anspricht und zu Toleranz aufruft.

Die Berliner Festspiele gehen noch bis zum 20. Mai und bieten ein spannendes Programm. Es lohnt sich, mal hereinzuschauen!

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