Erbschaft einer Kämpferin: „Ich bin allein. Ich will keinen Mann. Ich bin frei.“
Berlin • Umkreist von den globalen (Rück-)Entwicklungen des 21. Jahrhundert, sieht sich der Mensch in einer von Männern dominierten Welt, mit seiner eigenen Verelendung konfrontiert. Er versucht, die Spuren politischer Konflikte und Umbrüche in seinen intimen Beziehungen herauszufiltern, um sie zu retten. So ist es nur verständlich, dass der belgische Künstler Céderic Eeckhout, bekannt aus Falk Richters Produktion „Rausch“, während des Berliner Festival für internationale Dramatik (FIND 2025) seine Performance, „Héritage“ dem Schaubühnen-Publikum präsentiert.
„Ich habe Angst dich zu verlieren“, sagt Eeckhout zu Beginn des Stücks zu seiner Mutter Georgette (Jo), die ebenfalls, wie die Musikerin Pauline Sikirdji, auf der Bühne präsent ist. Gemeinsam sitzen sie an einem Küchentisch, schätzen im Gespräch ihre kostbaren Momente und rauschen in die 50-er Jahre.
Es ist Oktober 1945. Französisches Belgien. Kriegsende. Eine Zeit, in der Jos Mutter noch als Gefängniswärterin arbeitet. Schon früh musste Jo sich mit Wünschen nach Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstständigkeit auseinandersetzen und verinnerlichte sie. Denn mit gerade mal 14 Jahren beginnt sie eine Ausbildung zur Friseurin, verfolgt uneingeschränkt ihren Traum von Haus, Kind, Märchenprinz; den sie kurz darauf auf einem Gesangswettbewerb kennenlernte.
Wer sich hingibt, gibt sich auf
Céderic hat sich währenddessen die Kleidung seiner Mutter angeeignet. Jo erzählt und er lebt parallel ihre vergangene Zeit. Arbeiten im hauseigenen Salon, dazwischen Reisen, Kinder und Partys als Dancing Queen in roten Tüll mit Musik von ABBA. Die Beziehung von Céderic und Jo wirkt symbiotisch und lässt Jo auf der Bühne omnipräsent werden.
Damals „war es eine andere Welt. Eine andere Zeit“;, ist es wirklich so?

Ihre gemeinsame Reise in die scheinbar unbeschwerte Vergangenheit wird begleitet von musikalischen Klängen, Gesang, Bildern und persönlichen Requisiten. Damals „war es eine andere Welt. Eine andere Zeit“; ist es wirklich so?
– „Und dann kam es anders“, sagt Jo und spricht über ihren Kampf mit den patriarchalen Strukturen. Schon fast humorvoll sagt sie, dass Männer ihre Liebe auf eine seltsame Art ausdrücken. Ihr Mann hat alle Entscheidungen getroffen, sie als Frau hatte zu gehorchen. Das wollte sie nicht mehr.
Sie wollte nicht mehr angeschrien, unterdrückt werden. Sie wollte leben, frei handeln können. Also nahm sie ihre Kinder, verließ ihren Mann und verlor nebenbei ihren Salon, ihr Haus, ihre Freunde. Sie als Frau war die schuldige Person, die ihren Mann verlassen und die Familie zerstört hat.
Jos neues Leben als unabhängige Blondine
Nach und nach baute sie sich mit ihren Kindern ein Leben, fern ab von den männerdominierenden Strukturen, auf. Sie wurde zu einer starken, selbstbewussten und unabhängigen, blonden Frau in Stilettos, der es egal ist, was die anderen Personen von ihr denken.
Sie machte erneut einen Salon auf, ließ sich ein Haus für ihre Familie bauen und akzeptierte nur respektvolle Liebesbeziehungen. Zu Recht bezeichnet ihr Sohn sie als Kämpferin. Eine Person, die Trauer in Freude umwandeln kann. Eine Heldin, die keinen Vater braucht, der sie traurig macht.
„Héritage“ (auf Deutsch „Vermächtnis“) ist mehr als ein persönliches Denkmal an Céderics Mutter. Es ist auch mehr als ein Stück über eine symbiotische Mutter-Kind-Beziehung.
Der vielseitige Künstler Eeckhout und seine Mutter Jo bringen uns mit ihrer Familiengeschichte, welche in die 50-er Jahre zurückreicht, zu den fundamentalen Problemen unserer Gegenwart, der toxische Mann und die patriarchale Gesellschaftsstruktur, die immer noch nicht durchbrochen wurde. Eeckhouts Arbeit trifft das diesjährige FIND auf den Punkt, persönliches Ereignis verknüpft mit globaler Geschichte.