Friedman im Gespräch: Wie viel Angst verträgt eine Demokratie?
Berlin · „Wovor haben Sie Angst?“, fragt der Publizist Michel Friedman seinen Gast, den Soziologen Heinz Bude, welcher mit den Worten, „vorm Sterben“ antwortet. Wer könnte es Bude verübeln, dass er sich vor dem eigenen Sterben ängstigt?! Die Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff, welche dem Diskurs über die Angst am Berliner Ensemble ebenfalls beiwohnt, beschreibt Budes Angst vorm Sterben als etwas Existenzielles. Ist es das?

Für den Fundamentalontologen Martin Heidegger, der sich ausführlich mit „Angst“ in seinem Werk „Sein und Zeit“ auseinandergesetzt, ist die Angst eine Grundbefindlichkeit des Menschen. Sie verweist ihn auf „die Freiheit des sich-selbst-wählens“ und auf seine Endlichkeit. Die Angst vorm Sterben, die der Soziologe Bude empfindet, offenbart ihn seine Zeitlichkeit. Dieses Bewusstsein von Zeit benennt Heidegger als das „Dasein als Sein zum Tode“1. Sie ist des Menschen (existenzielle) Angst, die ihn sorgen lässt.
Des Menschen Sorge ist sein Dasein
Parallel zu Bude beschreibt Deitelhoff ihre Angst als Sorge. Sie sorgt sich, dass sie sich nicht mehr um ihre (jungen) Kinder kümmern, ihrer Verantwortung als Mutter nachkommen könnte. Für den Fundamentalontologen ist das „Sorgen“ ein zentrales Phänomen des Menschen. Es dient der Angst zu entkommen. Indem der Mensch („Dasein“) sich sorgt, verstreut er sich in die Welt, er kümmert sich („in-der-Welt-Sein“).
Weiter stellen die Diskutierenden fest, dass der Begriff „Angst“ in unserer modernen Gesellschaft teilweise inflationär verwendet wird. Sie führen die Furcht als Nebenbegriff ein und kommen dadurch zu einem neoliberalen Angstverständnis, der sich in drei Punkten äußert:
1. die Angst etwas zu verpassen, 2. die Angst nicht zu genügen und 3. die Angst sich selbst zu verpassen.
German Angst: „Alles soll so bleiben, wie es ist.“
Der moderne Mensch ängstigt sich sozusagen um seiner selbst willen, sprich er möchte seine gegebene Zeitlichkeit bewusst, ausgiebig, leistungsstark nutzen, schafft es aber aufgrund seiner mangelnder Priorisierung nicht und wird dadurch zum Spiegel der fragilen Moderne.
Die Geburt des modernen Populismus
Denn nicht nur der moderne Mensch ist instabil, sondern die gesellschaftlichen Zustände und die Politik sind es ebenfalls. Das ängstigt den Menschen. Er sieht sich in seiner immanenten Freiheit bedroht und reagiert auf die von ihm erlebte Bedrohung mit Hass, Wut. Laut dem Soziologen Bude schwallen diese Emotionen in unsere Gesellschaft, verkleiden sich als Extreme und äußern sich populistisch – die Geburt des modernen Populismus.
Der moderne Populismus ernährt sich von den neoliberalen Ängsten des Menschen und sichert sich dadurch seine politische Macht, die faschistischen Ideologien folgt. Ironischerweise erlagen die rechten Populisten mit ihren faschistoiden Gedanken Zuspruch bei den geängstigten Menschen. Es ist so ironisch, weil die neoliberale Angst des Menschen sich vor dem Verlust seiner immanenten Freiheit fürchtet, dabei opfern sie ihre Freiheit mit dem Zuspruch von faschistischem Gedankengut.
Als die letzten Worte an diesen Abend bei Friedman fallen, wird klar, dass die neoliberale Angst des Menschen seinen letzten Schatz kosten wird – die Demokratie.
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- Der Fundamentalotologe Martin Heidegger schreibt in seiner eigenen Terminologie. Seine Begrifflichkeit wurden fürs bessere Verständnis in Anführungszeichen gesetzt. Heideggers Sprache lässt sich nicht eins zu eins übersetzen, aber erläutern.