Do it yourself! WELTPARLAMENT – Demokratie für alle und alles?
Der Regisseur Milo Rau und das International Institute of Political Murder inszenierten an der Schaubühne Berlin vom 3.-5.11.2017 eine Generalversammlung, um Weltbürgern eine Stimme zu geben und ihnen politische Macht zu verleihen. Das Motto der >>General Assembly<< lautet: >>Demokratie für alle und alles<<, dabei entwickelte sich das theatrale Weltparlament schnell zu einer politischen Initiative mit vielen Fragen und Forderungen an die Realpolitik.
Die einberufene >>General Assembly<< versucht als theatrales Experiment auf globaler Ebene einen Dritten Stand zu repräsentieren, der sich mit Verbrechen an Subjekte und Ökologie beschäftigt, dessen Verursacher in vielen Teilen die Deutsche Politik ist. Hauptanliegen der Versammlung ist das Verabschieden einer selbstverfassten Charta des 21. Jahrhunderts, die an den deutschen Bundestag übergeben werden soll. Mit über 60ig Abgeordnete und sechs politischen Beobachtern aus der ganzen Welt tagte das Weltparlament an der Schaubühne Berlin unter der Leitung der vorher gewählten Präsidentin Khushi Kamau (Menschenrechtsaktivistin aus Bangladesch), den Vizepräsidenten Diogo Costa (Politikwissenschaftler aus Brasilien) und Bernadus Clinton Swartbooi (ehemaliger Minister für Landwirtschaftsreform in Nambia) und Mirjam Knapp als Vertreterin vom International Institute of Political Murder. Begleitet wurde das Parlament von den drei Stenographen: Robert Misik (Autor und Journalist), Raul Zelik (Autor und Journalist) und Mely Kiyak (Autorin und Journalistin). Angehört wurden an diesen Tagen Menschen, die von der Deutschen Politik betroffen sind, aber im Bundesparlament kein politisches Mitspracherecht haben. Folgende Bundestagsabgeordnete haben sich der >>General Assembly<< angeschlossen: Michel Brandt (Die Linke), Dr. Daniela De Ridder (SPD), Frank Heinrich (CDU), Andrej Hunko (Die Linke), Uwe Kekeritz (Bündnis 90/Die Grünen), Katja Kipping (Die Linke), Mathias Stein (SPD), Kathrin Vogler (Die Linke). Eingeladen waren auch die CSU und die AfD. Nachdem am Freitag, den 3. November in der konstituierenden Sitzung die grundlegenden Strukturen der >>General Assembly<< geklärt wurden, begangen am Folgetag die einzelnen Plenarsitzungen, in denen Anträge vorgestellt und kontroverse Beiträge sowie Reden gehalten wurden. Anträge wurden ergänzt, angenommen oder abgelehnt.
[caption id="attachment_1207" align="aligncenter" width="800"] Leitung der >>General Assembly<<. Foto: Daniel Seiffert.[/caption]Das theatrale Experiment der >>General Assembly<<, welches der Regisseur Milo Rau und das International Institute of Political Murder durchführten, orientierte sich wie ihre vergangenen Arbeiten an eine Verschmelzung von Realität und Fiktion, sodass sich am Ende des Experiments eine Initiative entwickeln zu haben scheint. Beispielsweise erzählt Mnyaka Sururu Mboro, Ingenieur und Aktivist aus Tanzania von Widerstandskämpfern und Bewohnern aus ehemaligen deutschen Kolonien, die von deutschen Soldaten gezwungen wurden mit zerbrochenen Bierflaschen die Haut von abgeschlagenen Köpfe ihrer Angehörigen abzuziehen, sodass die Köpfe für Rassenforschung in Deutschland eingesetzt werden können. Noch heute befinden sich die Köpfe in der Obhut der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin und noch immer kämpfen Menschen, wie Mboro um die Rückführung der Köpfe für eine Beerdigung nach traditionellen Brauch. Der belgische Rechtsanwalt und Experte für internationales Strafrecht, Jean-Louis Gilissen übernahm an diesen Abend den Fall und versprach Mboro sich für die Rückführung der Köpfe einzusetzen. Die >>General Assembly<< offenbarte viele schockierende und zutiefst dramatische Gegebenheiten rund um die Welt, die entweder einen vor Fassungslosigkeit erstarren ließen oder zu Tränen rührten, wie die Erzählung von Cian Westmoreland, Drohneningenieur und Whistleblower. Er arbeitete auf der Ramstein Air Base und entwickelte die Kommunikationsstruktur mit, die dem Drohnenprogramm in Afghanistan zugrunde liegt. Westmoreland erzählte der >>General Assembly<<, wie Menschen und die Ermordung der Subjekte Zahlen sind, weil es die Bürokratie erleichtert.
>>Wir haben dafür gesorgt, dass Kinder Angst vor dem blauen Himmel haben. Das ist Terror.<< (Westmoreland, Cian)
Als er seinen Dienst im Militär quittierte, folgten darauf eingefrorene Konten und Morddrohungen. 2010 entschloss er sich, öffentlich über seine Arbeit zu berichten. Viele Rednerinnen berichteten nicht nur von ihrer Arbeit als Aktivistinnen, sondern forderten auch, wie die Abgeordnete Joana Adesuwa Reiterer (Menschenrechtsaktivistin) gleiche Arbeitsbedingungen und Löhne für alle Weltbürger. Eine globalisierte Welt benötigt einheitliche Arbeitsbedingungen, die nicht Ausbeutung fördern und Menschen nicht aufgrund ihrer Rasse, Religion, Sexualität oder Herkunft diskriminieren. Die Bürgerrechtlerin Thumeka Magwangqana fragt zu Recht: >>Warum ist das Blut unserer Brüder so billig?<<. Wieso missachten (deutsche) Unternehmen, unter anderem wie BASF, Bayer, Kik, große Teile der Auto-, Rüstungs- oder Lebensmittelindustrie und die Deutsche Politik Menschenrechte und unsere Natur, in dem sie es zur ausbeutbaren Ressource machen? – Laut der Abgeordneten Kathrin Hartmann und dem Global Food Print Network bräuchten wir drei neue Planeten, wenn jeder Staat oder jedes Land, so wie Deutschland lebt. Deswegen wird es Zeit, dass wir auch als Konsumenten von Ressourcen und Weltbürger anfangen unsere Lebensweise zu überdenken.
Während der >>General Assembly<<, trafen Opfer, unter anderem auf Antagonisten und Feinde, wie beispielsweise der Faschist und AKP-Unterstützer Tugrul Selmanoglu, welcher mit seinen faschistoiden Ansichten für Konflikte sorgte. Selmanoglu leugnete den Genozids an die Armenier und stürzte das Parlament in seine erste existentielle Krise. Ist es notwendig Faschisten und Demokratiefeinde im Weltparlament aufzunehmen? Nach der politischen Beobachterin, Chantal Mouffle habe Feinde in einem demokratischen Diskurs nichts zu suchen. Antagonisten, die über ein demokratisches Grundverständnis verfügen sind willkommen. Aber Feinde, die Demokratien abschaffen, müssen leider draußen bleiben. So hätte ich auch mir an diesen Tagen eine faschistenfreie Zone gewünscht; unter anderem aus Solidarität und Pietät vor den Betroffenen. Um es mit den Worten des Autors Falk Richter aus seinem Stück >>RAUSCH<< zu sagen: >>wir brauchen auch die cdu nicht die fdp hätte schon vor zwanzig jahren abgeschafft werden müssen, aber die cdu muss nun auch diesen planeten verlassen.<< Ich denke, dies gilt auch für alle anderen neoliberalen, rechten und faschistischen Parteien, Politiken, Institutionen oder Gruppierungen.
Unabhängig von der Leugnung eines Genozids, war die theatrale Umsetzung des Weltparlaments ein großartiger Erfolg und eröffnete so viele Einblicke ins Weltgeschehen, Sprachen -ein herzlicher Dank geht an die DolmetscherInnen- und unterschiedliche Meinungen, sodass mensch am Abend Sympathien gegenüber den antinatalistischen Ansichten von Théophile de Giraud hatte, der ein Recht nicht geboren zu werden, einforderte. Das theatrale Experiment, das hoffentlich vor allem als Initiative erhalten bleibt, eröffnet einen Raum für gemeinsamen Austausch und versucht Lösungen und Gegenentwürfe zum vorhandenen Weltsystem und Rechtssystem zu entwerfen, welche wir unbedingt benötigen. Der Regisseur Milo Rau und das International Institute of Political Murder haben an diesen Tagen gelungen eine >>General Assembly<< legitimiert und den Weg für eine Charta des 21. Jahrhunderts freigemacht, die in den nächsten Tagen an den deutschen Bundestag übergeben werden soll. Seinen Abschluss fand die Versammlung im Reenactment >>Sturm auf den Reichstag<<.
[embed]https://www.youtube.com/watch?v=d_e_37x500U&feature=youtu.be[/embed]Das Buch zur >>General Assembly<< Herausgegeben von Milo Rau/ International Institute of Political Murder. Leipzig: Merve Verlag, 2017. ISBN 978-3-88396-391-4. Kosten: 12,00€, ist unter anderem auch in der Schaubühne erhältlich.
>>General Assembly<< |Schaubühne Berlin | 3.-5.11.2017| Weitere Infos : http://www.general-assembly.net/ oder http://www.schaubuehne.de/
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