>>Die Revolution stirbt<<
Regisseur Milo Rau und das Ensemble der Schaubühne Berlin transportieren mit der Inszenierung >>LENIN<< ihr Publikum in die ehemalige Sowjetunion und lassen uns am Untergang des Staatsführers Lenin und des Sozialismus teilnehmen.
Wie ein Erzähler, begleitet der russische Revolutionär und Theoretiker Leo Trotzki (Felix Römer) uns in Lenins Heimat, die ehemalige Sowjetunion. Lenin (Ursina Lardi), der für viele seiner Genossen der klügste Mann seines Jahrhunderts war, wurde nach der Oktoberrevolution und der Gründung einer Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zum Pflegefall. Trotzki, der eine Biografie über Lenin geschrieben hat, beschreibt uns zu Beginn des Schauspiels, welches hauptsächlich auf der Leinwand abspielt, dass wir eine transzendentale Perspektive auf die Geschichte nach der Oktoberrevolution von 1917 einnehmen. Eine aufklärerische Perspektive, die omnipotent wirkt, weil Drehbühnen-Technik und Kameras, das Schauspiel auf eine Leinwand für einen anderen Blick projizieren. Angekommen in Lenins Datsche, finden wir den großen Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin in seinem Krankenbett vor. Sein Körper ist schwach und je weiter der Abend voranschreiten, um so schwächer wird auch sein Geist. Gemeinsam erleben wir an diesen Abend den Verfall der Sowjetrepubliken mit seinem Staatsführer Lenin.
Über unterschiedliche Blickwinkel und Charaktere wird die Zeit nach der Oktoberrevolution im Hause Lenin nachgespielt. Die große Revolution, die die Freiheit aller Bürger zum Ziel hatte, forderte eiskalte Gewalt und viele Todesopfer. Und genau so verhält es sich mit Lenin, ein Sozialist, der über die Revolution einen neuen Menschen erschaffen und von der Unterdrückung befreien wollte, spricht mit den anwesenden Kindern als erstes Mordopfer der Revolution. Zuerst sterben immer die Kinder im Krieg. Auch der ehemalige Soldat (Konrad Singer) ist der Ansicht, dass die Revolution viel Unheil angerichtet habe: >>Alle sind noch dreckiger geworden, alle tot, Tiere sterben auch aus.<< Und Lenins Köchin (Veronika Bachfischer) beschreibt ihre Zeit im Kampf, als wörtliches gefressen oder gefressen werden. Wofür war die Revolution gut? – Eine Frage auf die der immer schwächer werdende Lenin keine Antwort finden wird.
Milo Rau schafft mit seiner multiperspektivischen Herangehensweise in Darstellung und Erzählstruktur unterschiedliche Wege, um sich den Untergang von Lenin und der Revolution zu nähern. Dabei versucht er fortwährend Bezüge zur gegenwärtigen Realität herzustellen, in dem Schauspieler beispielsweise offensichtlich abgehen oder während des Spiels maskiert werden. Garderobe und Schminktisch befinden sich jeweils an den Außenseiten der Bühne. Welcher Bezug hat die gegenwärtige Realität mit dem fiktiven Spiel? Ist es die Maskerade, die meist Faschisten als Sozialisten tarnt? Oder ist es die Frage, wie mensch den Zustand der Unterdrückung entkommen kann, ohne zum eiskalten Mörder zu werden? Raus Umgang mit den Theatralen zum Film ist besonders gut gelungen und vereint beide Medien zu einem ästhetischen Ganzen. Teilweise erinnerte es an David Leans Ästhetik von >>Doktor Schiwango<<, was für Raus originalgetreue Herangehensweise an den Stoff >>Lenin<< spricht. Etwas bedauerlich an der Ästhetik von Film und Schauspiel ist das Schwinden von Emotionen, die durchs Schauspiel besser als über den Film übertragen werden können. Nichtsdestotrotz ist >>LENIN<<, eine herausragende Inszenierung mit einer gelungenen Besetzung.
LENIN |Schaubühne Berlin | 23.+24.10., 4.+5.11., 16.-19.11. und 5.,9. und 10.12.2017 Karten unter: 030-890023 oder ticket@schaubuehne.de