VERRAT am LA LA LAND
Gemeinsam erkunden Schauspieler aus dem Gorki-Ensemble und der Regisseur Falk Richter in der Uraufführung >>VERRÄTER – Die letzten Tage<< den Verrat an Heimat, Politik und an das eigene Ich.
>>Gefangen im Sammelbecken für Opfer<<, so beschreibt die Schauspielerin Mareike Beykirch ihre Herkunft aus Sachsen-Anhalt. Sie kommt aus armen Verhältnissen. Ihre Mutter putzt, um die Familie zu ernähren. Und als das Putzen nicht mehr ausreicht, muss sie Hartz 4 beantragen. Mareike hat inzwischen eine gute Schauspielausbildung absolviert, arbeitet an einem renommierten Theater und ist intellektuell. Sie findet keine sprachliche Ebene, um sich vernünftig mit ihrer Mutter zu unterhalten. Wenn sie zu Hause ist, fühlt sie sich, als habe sie >>Schichtverrat<< begangen. Sie passt nicht mehr in dieses System. Auch die Schauspielerin Çiğdem Teke hat Systemverrat begangen. Sie hat einen Sohn und lebt mit einer Frau zusammen. Statt Mutter-Vater-Kind, lebt sie mit ihrer Frau und ihrem Sohn in einer queeren Familie oder in einer sogenannten Regenbogenfamilie. Das Wort Familie greift nicht mehr, da passen sie nicht mehr rein.
>>die sprache ist ja so brutal, entweder sie beschreibt dich und schreibt dir ständig irgend etwas zu, das du dir gar nicht ausgesucht hast, das du nie als teil von dir erzählt haben wolltest, oder sie erwähnt dich gar nicht, und dann gibt es dich nicht, dann wird deine geschichte nie erzählt, dann musst du ständig die geschichten anderer erzählen, dich verstellen und so tun als seist du gar nicht du oder als tue diese abweichung, diese DIFFERENZ gar nichts zur sache, und dann fühlst du dich wie ein VERRÄTER AN DIR SELBST dabei haben ja die anderen dich verraten, sie schaffen eine sprache, in der du nicht vorkommst […] ALS OPFER WILL ICH HIER GANZ SICHER NICHT SPRECHEN<<
Falk Richters Charaktere berichten in dem Projekt >>VERRÄTER<< über persönliche Momente, in denen sie sich als Verräter gefühlt haben. Springen immer wieder aus dem Persönlichen ins Fiktive und bauen dadurch eine Differenz zum eigenen Ich auf. Die Sprache über die sich beschreiben müssen, fasst sie nicht mehr. Sie existieren so nicht. Neue Wörter müssen konstruiert werden, damit sie sich ausdrücken können. >>Alle Philosophie ist Sprachkritik. […] Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache. << (Wittgenstein, Tractatus) Und alle Sprachkritik ist wiederum Systemkritik. Neben den starken Monologen der Darsteller, taucht auf einmal aus dem nichts ein singender Jakob (Daniel Lommatzsch) auf. Die Übergänge fangen an holprig zu werden. Zu viele Elemente treffen aufeinander, was die Harmonie des Stücks stört.
Jakob möchte mit der jüdischen Schauspielerin Orit Nahmias ein Holocaust-Musical inszenieren. Damit unterbricht er immer wieder die Monologreihe der Darsteller und möchte sie so in eine andere Welt verführen, die der Realität etwas schönes abgewinnen kann, wie im Film >>La La Land<<. Doch leider klappt das nicht. Orit will keine Jüdin spielen und generell nervt Jakob mit seinen Unterbrechungen, seiner Musical-Idee und Fluchtversuchen aus der nun entstandenen nationalistischen Gesellschaft, in der Mann mit nackten Oberkörper durch den Wald reitet. Schließlich ist das Leben zu kurz, um zu singen, zu tanzen und sich im Bett rumzuwälzen, oder? Vielleicht sollten wir beginnen neben der grausamen Realität das Leben zu genießen, eben weil es endlich ist. Aber wäre das dann nicht auch VERRAT?
Çiğdem Teke, Knut Berger. Foto: Ute Langkafel.
>>VERRÄTER<<| Maxim Gorki Theater Berlin| 11. und 13. Mai 2017 jeweils um 19.30 Uhr| Karten unter: ticket@gorki.de oder 030 20221-115
]]>