Künstleroper als Krimi

Über den Begriff der Geschichte hat das künstlerische Team von >>Ein Porträt eines Künstlers als Toter<< während des Festivals INFEKTION! an die Körper der Desaparecidos erinnert.

Mitten im Foyer der Werkstatt von der Staatsoper Unter den Linden erscheint aus der Menge der Zuschauer der Schauspieler Daniele Pintaudi. Er stellt sich vor und betont, dass er seine persönliche Geschichte in dieser Inszenierung erzählt. Er spricht von einem Brief, den er irrtümlicherweise im November 2014 aus Buenos Aires erhalten hat. In diesem Schreiben steht, dass er ein Appartement in Argentinien erbt. Das Appartement gehört den Komponisten Franco Bridarolli, der während der argentinischen Militärdiktatur von 1976 bis 1983 spurlos verschwunden ist. Pintaudi dokumentiert mit Daten, Briefen und Fotos auf der Fensterscheibe von der Werkstatt, wie er und Davide Carnevali, Autor und Regisseur, zu dem Auftragswerk >>Ein Porträt eines Künstlers als Toter<< gekommen sind. Für den Kompositionsauftrag reisen beide nach Argentinien, um vor Ort über den verschwundenen Komponisten Franco Bridarolli und dessen Schicksal zu recherchieren. Schauspieler Pintaudi weist die Zuschauer zur Probebühne. Dort angekommen, begeben Zuschauer und Schauspieler sich nach Argentinien, in die Unterkunft von Carnevali und Pintaudi und in das Appartement von dem verschwundenen Komponisten Bridarolli. Über Erzählungen, Musikfragmente und über persönliche Gegenstände, rekonstruiert Pintaudi seine Geschichte über das Verschwinden des Künstlers Bridarolli bis ins Detail. Letztendlich steht er selbst als Desaparecido, Franco Bridarolli auf der Bühne. Doch entspricht Pintaudis Erzählung den Tatsachen? Was ist hier wahr und was ist hier fiktiv?

[caption id="attachment_1751" align="alignright" width="552"] >>Ein Porträt eines Künstlers als Toter<<, Daniele Pintaudi, Foto: Gianmarco Bresadola.[/caption]

Wie beginnen, um die Geschichte von Menschen zu erzählen, die während der argentinischen Militärdiktatur und des deutschen Faschismus spurlos verschwunden sind. Menschen die Opfer von staatlichen Terror wurden, in Gefangenschaft kamen oder deportiert wurden. Körper, die von einem Tag auf den anderen Tag verschwunden sind.

Das künstlerische Team von >>Ein Porträt eines Künstlers als Toter<< hat sich im Kompositionsauftrag von der Staatsoper Unter den Linden (Premiere 28. Juni 2018) und der Münchener Biennale (UA 3. Juni 2018) dieser Aufgabe gestellt und es über Walter Benjamins Begriff der Geschichte versucht. Der Schauspieler Daniele Pintaudi konstruiert über seine eigene (fiktive) persönliche Geschichte die Vergangenheit und schafft sie in die Gegenwart. Und die geglaubte eigene Geschichte von Pintaudi, prägt sich über die Macht der Fiktion ins Gedächtnis der Menschen. Die Körper der Desaparecidos sind auf einmal präsent. Künstlerisch drückt der Regisseuer Carnevali dies in der körperlichen Verwandlung von dem Schauspieler Pintaudi aus. Je mehr der Schauspieler Pintaudi sich mit dem Komponisten Franco Bridarolli und dessen Schicksal auseinandersetzt, um so mehr wird er zu Bridarolli. Das heißt Pintaudis Körper wandelt sich zu dem Körper des verschwundenen Komponisten, der in seinem Appartement seine Komposition spielt.

 

[caption id="attachment_1750" align="alignleft" width="654"] >>Ein Porträt eines Künstlers als Toter<<, Daniele Pintaudi, Foto: Gianmarco Bresadola.[/caption]

Die detaillierte Rekonstruktion der Geschichte von Pintaudi erinnert sehr an ein Krimi, in dem über Indizien nach der Wahrheit gesucht wird, was unter anderem an die Geschichte fesselt. So wird durch die Rekonstruktion und die Suche, die historische Geschichte der Desaparecidos sichtbar. Die Geschichte bleibt in Bewegung und ist präsent. Die fragmentarische Komposition, die in erster Linie aus einzelnen für sich stehenden Klängen und Tönen besteht, untermalt gut den Moment der Deportation. Die Künstleroper >>Ein Porträt eines Künstlers als Toter<< hat wenige musikalische Elemente. Zentral sind hier Stücktext und gesprochenes Wort, und nicht Partitur und Komposition. Auch wenn die Künstleroper für das Berliner Musikfestival INFEKTION!, einen geringen Musikanteil bietet, sind die schauspielerische Leistung von Pintaudi, Text und Regie von Carnevali hervorragend. Und der Entwurf einer historisch angelegten Oper im Kriminalformat spannend.

 

Ein Porträt eines Künstlers als Toter |Staatsoper Unter den Linden, Infektion Festival für neue Musik und zeitgenössisches Musiktheater 2018, https://www.staatsoper-berlin.de/de/spielplan/infektion/

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