„Geld ist wie ein komischer Parasit“
Wir leben in einem Zeitalter, in dem dir dein Handy mitteilt, wo du dich gerade befindest. Amazon dir dein Konsumverhalten vor Augen führt. Google dich über dein Denken aufklärt und facebook dir sagt, wer du bist. Wir sind gläsern geworden.
Überall transparent und nirgendwo unsichtbar. – Die Künstler Chris Kondek und Christiane Kühl beschäftigen sich seit Jahren mit den Problemen von Big Data; der Datenkrake, die uns unsere Anonymität nimmt und an Konzerne, Unternehmen und Institutionen weiterreicht. In ihrer Performance „Anonymous P.“, die während des Impulse Theaterfestival 2015 zu sehen sein wird, haben sie das Thema von Big Data mythologisch aufgegriffen.
„Anonymous P.“, alias Prometheus macht sich in der Performance auf die Suche nach Daten. Er stiehlt sie den Mächtigen. Und schenkt den Menschen Dunkelheit, damit sie im Netz ihre Anonymität zurückerlangen.
Während der 18. Internationalen Schillertage in Mannheim hatte ich die Gelegenheit den Künstler Chris Kondek von der Installation „Anonymous P.“ zu treffen. Kondek produziert hauptsächlich Videos für bekannte Größen wie Falk Richter, Laurie Anderson, Angela Richter und Meg Stuart und arbeitet seit 2005 mit der Theatermacherin Christiane Kühl zusammen. Neben ihrer aktuellen Produktion „Anonymous P.“, die sich mit der Datenkrake „Big Data“ befasst, ist schon ihr neues Projekt „Selfies“ in Planung, welches 2017 in Frankfurt zu sehen sein wird.
FG: Aber nun zu „Anonymous P.“. In der Performance erwacht die mythologische Figur Prometheus in einer Transparenzgesellschaft, mit Whistleblowern, oder wie die Regisseurin Angela Richter sie tituliert „Supernerds“. Wie kann sich die Antike Figur in so einer Welt zurechtfinden?
Chris: Prometheus hat das Feuer von den Göttern gestohlen, damit die Menschen durch das Licht freier und unabhängiger leben können. Die Götter wollten das natürlich nicht und haben versucht, das Feuer wiederzubekommen.
Auch Whistleblower stehlen den Mächtigen etwas, nämlich Daten, und verteilen sie unter die Menschen. Wie Prometheus werden sie verbannt.
Aber statt im Kaukasus, sitzen sie in Moskau oder in der ecuadorianischen Botschaft in London. Der neue Prometheus bringt den Menschen kein Licht, sondern Dunkelheit. Er ist Anonymous P., und mit der Dunkelheit erlaubt er den Menschen anonym zu sein.
FG: Ist Anonymität in einer Transparenzgesellschaft noch möglich?
Anonymität ist heute mit viel Arbeit verbunden. Man kann versuchen seine Spuren zu verwischen, in dem man E-Mails beispielsweise verschlüsselt versendet. Aber ich denke, dass Anonymität keine reale Option mehr ist.
FG: Bin ich der Datenkrake ausgeliefert?
Wir können Big Data nicht mehr entgehen.
Das einzige, was wir vielleicht tun können, ist uns Strategien zu überlegen, in denen wir Big Data durch falsche Daten, wie fiktiv benannte Dateien verschmutzen.
FG: Lass uns über Geld sprechen. In „Money – It came from outer space“ (2010) haben Christiane und du das Geld als gigantisch-lebenden Organismus entlarvt. Wie seid ihr darauf gekommen?
Uns kam die Idee, dass Geld sich bewegt, als ob es ein lebendiger Organismus wäre. Eine Art von Kreatur. Wir haben uns gefragt: Welche Art von Kreatur kann Geld sein?
Unsere Recherchen haben uns zu Sci-Fiction-Filmen geführt, sodass wir die Metapher des Aliens geschaffen haben. In dieser Phase sind wir auch auf den Essay „Imagination of Disaster“ von Susan Sontag gestoßen. Hier behauptet Sontag, dass Sci-Fiction-Filme nie Prognosen über die Zukunft treffen, sondern sich mit den Ängsten der Gegenwart befassen. In den 50iger Jahren war es beispielsweise der Atomkrieg und heute ist es das Geld.
Geld ist ein Alien. – Chris Kondek
FG: Geld ist ein Alien?
Speziell 2009 und 2010 schien es, als habe Geld ein Eigenleben entwickelt, das sich nicht mehr kontrollieren lässt. Kein Ökonom, wusste, wieso die Weltfinanzkrise passiert ist und keiner konnte erklären, wer davon betroffen ist und wer nicht.
In unserer Recherchephase haben wir uns gefragt, was ein Alien ausmacht. Wir kamen zu dem Schluss, dass es versucht, immer mehr Gebiete einzunehmen, um größer und stärker zu werden. Außerdem versucht ein Alien sich in einen Körper einzunisten, damit dieser Körper ihm Untertan ist.
Geld ist wie ein komischer Parasit, der dich infiziert, damit du schließlich für ihn arbeitest. Unsere Inszenierung „Money – It came from outer space“ war ein Experiment, das sich aus Interviews mit Ökonomen und Alien-Filmen zusammensetzt. Wir wollten damit eine neue Art und Weise schaffen über Geld zu sprechen, in der man sich nicht am Sprachgebrauch von Politikern oder Ökonomen bedient.
Wenn man die Sprache von Ökonomen benutzt, spricht man, wie das System es möchte. Das Sprachproblem wird momentan vor allem bei Griechenland deutlich, in dem die griechische Bevölkerung keine Stimme bekommt.
FG: Wie würdest du die Situation von Griechenland beschreiben?
Da der IMF (International Monetary Fund), Europa und Amerika alle dieselbe Meinung verbreiten, lässt es sich schwer einschätzen, was in Griechenland wirklich vor sich geht.
Immer wieder wird nur gesagt, dass Griechenland Kompromisse eingehen muss und die Griechen nicht kompromissbereit sind; als ob die Menschen dort verrückt wären.
Das treibt die Diskussion nicht voran und beweist, dass die Banken die zentralen Entscheidungsträger sind. Weil immer mehr Geld ins System gesteckt wird, um Banken zu stützen, die schließlich das Geld verwalten. Trillionen von Dollar werden ins Bankensystem gesteckt, damit der Markt wächst. Somit wird der Finanzmarkt zum grundlegenden Entscheidungsträger.
FG: An welchen aktuellen Projekten arbeitet ihr?
Christiane und ich arbeiten momentan an „Selfies“ und „Du und das Dokument“.
In „Selfies“ möchten wir herausstellen, dass ein Selfie neben seiner Bildseite einen digitalen Code besitzt, der Metadaten in sich trägt. Wir möchten gerne in einer Installation oder Performance den Zuschauern das strukturelle Gesicht der Selfies zeigen. Das Projekt wird voraussichtlich 2017 zu sehen sein.
Unser zweites Projekt „Du und das Dokument“ setzt sich mit Identifikation auseinander und der Frage: Was muss man tun, um zu beweisen, wer man ist? Es thematisiert Dokumente und ID-Karten als Überwachungs-Hilfsmittel, fragt nach der Geschichte von Identifikation und was mit Menschen passiert, die keine Papiere oder ID-Karten besitzen.
In Indien haben wir uns mit einem Mann unterhalten, der uns von neuem indischen Identifikationssystem mit biometrischen Pässen erzählt hat. Er sagte: „Seid es diese neuen ID-Karten gibt, haben wir eine Existenz.“ Die Performance wird im Frühling kommenden Jahres im Frankfurter Mousonturm zu sehen sein.