Das ist nie passiert!

…wenn man etwas ausspricht, ist es da, man hat das Bild im Kopf; weil wenn man es einmal weiß, dann vergisst man es nicht. (Dimitrij Schaad)

Was muss der Mensch gescheit verdrängen oder verleugnen, um (über-)leben zu können?, fragen Yael Ronen und Ensemble in ihrer neuen Inszenierung DENIAL am Maxim Gorki Theater. Da wären einmal die problematische Kindheit, in der beispielsweise Dimitrij Schaad keine Unterstützung, Liebe und Anerkennung von seinen Eltern brauchte. Er war fest davon überzeugt, dass er eine glückliche Kindheit hatte. Obwohl er sich nicht wirklich an sie erinnern kann und alles Vergangene, wie ein schwarzes, leeres Loch erscheint. Orit Nahmias hatte viele liebe Freunde, die irgendwie doch nur in der Imagination existierten. Aber vielleicht sind es auch die kleinen verdrängten Dinge, die das Leben lebenswert erscheinen lassen, wie der Kosename, Klobürste. Zwar ist man kurz vorm Suizid, aber hey! Uns und er Welt geht es gut, oder?!

Mit emotionalen Geschichten, die bis ins Mark drängen, hat Yael Ronen und ihr Ensemble ein grundlegendes Problem unserer Gesellschaft angesprochen und zwar: die FASSADE. Über welche Ereignisse darf ich sprechen? Womit entlarve ich mein Selbst? Was sollte ich lieber vor mir und den Anderen verbergen? – Über unterschiedliche Erinnerungen schafft Ronen einzelne Szenen, die sich ins Extremste zuspitzen und auf Auflösung, Komik oder Tragik hoffen lassen. Es werden gezielt Spannungsbögen kreiert, die man selten an einem Theaterabend so stark zu spüren bekommt. Tragisches wird durch Zynismus oder Komik gemildert, wie beim Coming-Out von Oscar Olivio. Zwar leugnet er permanent homosexuell zu sein, telefoniert aber Abend für Abend über die Kreditkarte seines Onkels mit dem vulgären Bauch von Schaad.

Oscar Olivio, Dimitrij Schaad in "Denial" von Yael Ronen und Ensemble, REGIEYael Ronen, BÜHNENBILD Magda Willi, KOSTÜME Amit Epstein, MUSIK Nils Ostendorf, VIDEO Hanna Slak, DRAMATURGIE Irina SzodruchDimitrij Schaad, Oscar Olivio. Foto: Ute Langkafel.

Erst nachdem sein Onkel ihn erwischt und als Schwuchtel bezeichnet, folgt das Happy-End. In DENIAL gibt es aber auch Momente von purer Tragik, wie >>das Gespräch<<, so heißt die Überschrift der Szene. Hier spricht die Schauspielerin Maryam Zaree über ihr Problem nicht weinen zu können und dass ihre Mutter auch nie geweint hat; zumindest kann sie sich nicht daran erinnern, sie jemals weinen gesehen zu haben. Im Gespräch, welches sie mit ihrer Mutter über die Leinwand in der Inszenierung DENIAL führt, fragt sie Ihre Mutter, nach ihrem politischen Engagement im Iran. Über ihre Zeit im Gefängnis. Sie möchte von ihr wissen, ob sie gefoltert wurde.

Wurdest Du missbraucht?

War ich als Kind dabei?

(Maryam Zaree)

Sie möchte wissen, warum ihr Vater sich doch nicht mit dem Glas seiner Uhr umgebracht hat, obwohl er es vor hatte. Zaree stellt viele Fragen. Dabei möchte sie ihrer Mutter nur sagen, dass es in Ordnung ist, darüber zu sprechen, weil sie damit umgehen kann.

Çiğdem Teke, Maryam Zaree in "Denial" von Yael Ronen und Ensemble, REGIEYael Ronen, BÜHNENBILD Magda Willi, KOSTÜME Amit Epstein, MUSIK Nils Ostendorf, VIDEO Hanna Slak, DRAMATURGIE Irina SzodruchÇiğdem Teke, Maryam Zaree. Foto: Ute Langkafel.

Ist es wirklich in Ordnung zu sprechen? Wird dann alles Gut?

Als der Schauspieler Dimirij Schaad anfängt von seiner Kindheit zu erzählen, in der sein Vater ihn missbrauchte; stellt er gleichzeitig die Frage, ob es wirklich sinnvoll ist über Vergangenes zu sprechen. Dann hat man nämlich diese Bilder im Kopf, die eigentlich vergessen werden wollen. Bilder, die immer wieder und wieder hochkommen. Das Leben zerstören und unerträglich machen. Was also tun?

DENIAL ist eine großartige Inszenierung, die bis in die Tiefen der menschlichen Psyche eindringt und immer wieder erneut Problemfelder anspricht, die das Individuum lieber verdrängt. Über Live-Cam und weiße Kunststoff-Lamellen, die von der Decke wedeln, schafft die Bühne zwei Sprechzimmer. Lamellen und Live-Cam projizieren verzerrte und zerstückelte Seelen. Bilder, die man so nicht wahrnimmt. Es ist eher das Hinterzimmer des Unbewussten, welches nach und nach zum Vorschein dringt und nach Anerkennung schreit. Auch Schauspieler und Rollen überlagern sich, sodass nicht immer klar ist, was Fiktion und Realität ist. Durch diese Überlagerung entstehen extreme Spannungen, die immer wieder die Fragen nach dem Wahren aufwerfen. Ronen und Ensemble schaffen mit DENIAL eine ungemein tragische Inszenierung, die schon fast schmerzhaft unter die Haut geht. Zynismus und Witz lockern die Szenerie immer wieder auf. Im Zwielicht wird klar: Weggucken als Überlebensinstinkt, ist nicht mehr.

DENIAL| Maxim Gorki Theater| 18.9.2016 19.30h| 1.10.2016 19.30h| Weitere Spieltermine: http://www.gorki.de/de/denial | Karten unter: ticket@gorki.de oder 030/ 20221-115.

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