SEARCHING FOR A PLACE OF BELONGING

Das multitalent Falk Richter und die herausragende Choreografin Anouk van Dijk begaben sich am 26. Mai 2015 an der Berliner Schaubühne mit ihrer Inszenierung „Complexity of Belonging“ auf die Suche nach dem Begriff von Zugehörigkeit. Dabei formulieren sie basierend auf persönlichen Geschichten und Improvisationen mit Text, Performance und Bewegung individuelle Standpunkte, die vor dem Hintergrund eines weiten australischen Himmelpanoramas (Robert Cousins) aufeinander treffen, auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machen und dadurch das Publikum nicht nur bezaubern, sondern vergegenwärtigen, wie politisches Theater heute sein kann.

Alle sind auf der Suche nach Identität beziehungsweise dem Gefühl von Zugehörigkeit; egal ob Frau, Mann, heterosexuelles oder homosexuelles Pärchen. Ihr Alltag ist ständig von Fragen begleitet: Wer bin ich? Wer sind wir? Was macht uns aus? Wo gehören wir hin? Und wer gibt uns vor, wer, wie, was wir sein sollen? Ist es die Gesellschaft? Sind es die Eltern oder die Herkunft, die für mein Zugehörigkeitsgefühl verantwortlich sind und mir sagen sollen, wie ich zu sein habe?

In Falk Richters und Anouk van Dijks fünftem gemeinsamen Projekt „Complexity of Belonging“, in der fünf Tänzer und vier Schauspieler unterschiedlich miteinander agieren und sich in Szene setzen, begibt sich die französische Forscherin Eloise (Eloise Mignon) auf die Suche nach dem Begriff von Zugehörigkeit. Mittels Interviews über Herkunft, Beziehung, Gemeinschaft versucht sie sich dem Begriff und dem Gefühl von Zugehörigkeit zu nähern. Dabei trifft sie auf unterschiedliche Charaktere, wie einer Traumatherapeutin (Karen Sibbing), die um ihre Fernbeziehung kämpft oder auf einen Mann (Stephen Phillipps), der kurz vorm Burnout steht, weil die Gesellschaft mit all ihren Ansprüchen an ihm zerrt. Dieses Moment, in der der Mann seiner Freundin via Skype seine innigsten Gefühle mitteilt und von seiner Erfolgsdepression berichtet, treffen die Genres Text, Tanz und Musik in gemeinsamer Harmonie aufeinander, ergänzen sich gegenseitig und erzeugen somit die intendierte Stimmung von Stress, gesellschaftlichen Druck und Angst im Raum. Malte Beckenbachs düstere Klänge, die sich unter anderem wie ein pulsierender Herzschlag anhören, unterstützen Stephen Philipps Aussagen: „Ich hasse meinen Körper und vielleicht sollte ich mit meinem Leben etwas sinnvolles machen, wie beispielsweise zu Greenpeace gehen“. Während des Gesprächs tanzt Lauren Langlois um ihm herum, zerrt wie die gesellschaftlichen Zustände an ihm, laugt ihn aus, in dem sie auf ihn klettert, auf seinen Schultern sitzt und mit ihrem Gewicht einen Druck ausübt, der unsere heutigen Leistungsgesellschaft nahe kommt. „Ich will schlafen und ausruhen. (…) Wieso kann mir keiner sagen, was ich machen soll? Ich möchte glücklich sein!“.

[caption id="attachment_458" align="aligncenter" width="660"]complexityofbelonging_Stephen_Lauren Complexity of Belonging_Stephen Philipps_Lauren Langlois_Foto: Jeff Busby[/caption]

Aber auch die Szene in der Lauren nach ihrem perfekten Mann sucht, vergegenwärtigt, dass wir uns in einer Identitätskrise befinden. Lauren ist nämlich hin und her gerissen von den ganzen Stereotypen, die einen perfekten Mann ausmachen.

[caption id="attachment_460" align="aligncenter" width="660"]_complexityofbelonging_1902 Complexity of Belonging_Lauren Langlois_Foto: Jeff Busby[/caption]

Innerhalb ihres Monologs wird sie durch den Bühnenraum gezogen, gestellt, gesetzt; wie eine Marionette lässt sie sich von den ganzen gesellschaftlichen Normen und Stereotypen beeinflussen und formen. Dabei möchte sie eigentlich nur geliebt werden; auch wenn sie nicht genau weiß, was das eigentlich sein soll.

Complexity of Belonging“ erweitert nicht nur Text durch Tanz, sondern unterbricht das Schauspiel mit spektakulären Tanzeinlangen. Besonders aussagekräftig ist die Choreografie, in der Schauspieler und Tänzer in einer Diagonale auf Sesseln sitzen. Erst adrett, abwechselnd nach links oder rechts fallend, dann gemütlich sitzend. Wie in einem Loop gefangen, symbolisieren sie ihre Verfangenheit in der Gesellschaft, in der sich der Mensch seinen eigenen Platz suchen muss, um existieren zu können. Diese äußerst beeindruckende Choreografie, wird von Malte Beckenbachs Komposition bestens untermalt und erzeugt eine energiegeladene und doch nachdenkliche Stimmung.

[caption id="attachment_456" align="aligncenter" width="660"]ComplexityofBelonging_Ensemble_Foro:JeffBusby Complexity of Belonging_Ensemble_Foto: Jeff Busby[/caption]

Richters Texte, die er mit Hilfe von persönlichen Geschichten der Darsteller geschrieben hat, greifen nicht nur Klischees auf, stellen unsere transparente Leistungsgesellschaft in Frage, sondern thematisieren ganz zentral Rassismus, Gender, das Finden von Geschlechteridentitäten und wie unsere Gesellschaft damit umgeht. Beispielsweise wünscht sich Josh von Joel ein Kind. Mit Sarkasmus versucht Josh seinem Partner zu erklären, wie sie ihren Kinderwunsch erfüllen können: „Let’s have an international surrogate baby“.

Falk Richters und Anouk van Dijks Projekt „Complexity of Belonging“, welches am 6.10.2014 an der Melbourne Theatre Company seine Uraufführung feierte und nun durch Europa tourt, ist eine beeindruckende Inszenierung, in der die Schauspieler und vor allem die Tänzer von Chunky Move großartige Leistungen vollbringen. Auch die Musik von Malte Beckenbach, die immer wieder mit ihren Klängen Tanz und Text unterstützt und die Szenen in Emotionen und Energien festigt, ist einfach wundervoll. Das australische Himmelpanorama von Robert Cousins wird durch die unterschiedliche Beleuchtung (Niklas Pajanti) zum Leben erweckt und verleiht der ganzen Szenerie Lebendigkeit. So atemberaubend „Complexity of Belonging“ auch ist, weil ernsthafte politische Problematiken sich in beeindruckenden Tanz und unter anderem Humor finden lassen, eröffnet das Schlussmoment die „Weisheit des Abends“, dass der Mensch für den Anderen lebt – abgesehen von der falsche Schlussfolgerung – eine viel zu starke Tragik, die nicht weiter ausgeführt wird und dadurch plakativ wirkt. Dennoch ist „Complexity of Belonging“ von den Künstlern Falk Richter und Anouk van Dijk ein großartiges Meisterwerk mit atemberaubenden Tänzern und Schauspielern, das jegliche Art von Bewunderung verdient!

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Schaubühne Berlin | COMPLEXITY OF BELONGING | 26., 27., 28., 29. Mai 2015 | Jeweils um 20:00h. Karten unter: ticket@schaubuehne.de

Thèâtre National de Chaillot | COMPLEXITY OF BELONGING | 3., 4., 5., 6., Juni 2015 | Jeweils um 21:00h. Karten unter: http://theatre-chaillot.fr/en/dance/complexity-of-belonging

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