„Dem Deutschen sein Wald.“
„Die du liebend erzogst, sieh, sie grünen dir, deine Bäume, breiten ums Haus den Arm. Gezogen aus dem Boden, indem wir sind und bleiben. Heimisch und Fremde zugleich. Sichrer stehen die Stämme schon. Wir sind daheim, und allmächtig empor ziehet ein ahnendes Volk, bis die Jünglinge sicher der Väter droben erinnern und aus der Erde kommen wollen.“, schreibt die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek in ihrem Identitäts- und Heimatmonolog „Wolken.Heim.“ und verweist auf faschistoide Ideologien, die unvergessen in die (deutschen) Böden gesickert sind und wieder aufblühen. Regisseur Thomas Ostermeier greift dieses Phänomen auf mit seiner neuen Inszenierung von Ödon von Horváth „Jugend ohne Gott“ (Berlin Premiere 7. September 2019). Er versetzt sein Ensemble in den deutschen Wald (Bühne: Jan Pappelbaum), genauer gesagt in die Entstehungszeit von Horváths Roman in das Jahr 1935. Hier in einem Provinzgymnasium angekommen, stolpert der Lehrer (Jörg Hartmann) beim Korrigieren von Schulaufsätzen über das von der Aussichtsbehörde vorgegebene Thema, „Warum müssen wir Kolonien haben?“ und auf die Aussage des Schülers N (Damir Avdic), „Alle Afrikaner sind hinterlistig, feig und faul.“. Gerne hätte er die Aussage angestrichen, aber die gleichgeschalteten Medien verbitten es ihm. Als er dem Schüler N das Heft persönlich reicht, erinnert er die Schüler daran, dass Afrikaner auch nur Menschen seien. Eine Welle an Unmut seitens von Eltern und Direktion strömt über ihn. Die Furcht vor einer Existenznot lässt den Lehrer auch sein deutsches Fähnchen raushängen. Erst eine Verkettung unglücklicher Umstände treibt ihn an, sich erneut aufrichtig zu äußern, womit er seine Schüler beeindruckt und zum Widerstand gegen das faschistische Regime animiert.
Thomas Ostermeier und sein Dramaturg Florian Borchmeyer adaptieren sehr werkgetreu den Roman von Horváth für die Bühne. Sie ersetzen das N-Wort durch Afrikaner, was von einem reflektierten Geist zeigt und die rassistischen Strukturen des Regimes passender auf den Punkt bringt. Die treffende Atmosphäre der Zeit wird auch durch die Kostüme (Angelika Götz) getragen, welche an die Zeit der 40-iger Jahre und an das faschistische Regime erinnern. Teilweise wirken Kostümwechsel als Transformation, wie zu Beginn des Schauspiels. Jörg Hartmann tritt neutral gekleidet auf die Bühne und während des Vorlesens von dem Brief eines Arbeiters, „Was verdanke ich Adolf Hitler?“ transformiert er sich über seinen braunen Anzug in die Rolle des Lehrers und in die Zeit des Nationalsozialismus. Das Ensemble ergänzt die Worte des Lehrers durch seine geführten inneren Monologe und Gedanken, dadurch legt der Regisseur die jeweilige Handlungsmotivationen des Lehrers offen; was ein Mitfühlen mit ihm ermöglicht.
„Jugend ohne Gott“ ist eine Koproduktion mit den diesjährigen Salzburger Festspielen (Salzburg Premiere 28. Juli 2019). Es zeigt deutlich die Handschrift des Regisseurs, (komplexe) Klassiker stilvoll, naturalistisch und spannend zugänglich zu machen.
Weitere Vorstellungen von „Jugend ohne Gott“ an der Schaubühne Berlin: 9. bis 12. September, 20 Uhr 2019. Karten unter: 030 890023 oder ticket@schaubuehne.de
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