>>Jeder Mord ist wichtig für die Revolution
Regisseur Armin Petras zeigt mit seiner Inszenierung von „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Tennager im Sommer 1969“ am 9. April 2016 an der Schaubühne Berlin, was es heißt, wenn Jugend, neben Pubertät und Alltag im Kosmos der alten BRD sich politisch engagiert.
Zwischen all den Mannequins, gekleidet im 60-70-iger Jahre Stil, dem Beat von der Stuttgarter Rock-Band „Die Nerven“ und dem Bilderzähler (Paul Grill) aus dem Kinderzimmer, steht auf der Bühne ein leicht verwirrter Jüngling (Tilman Strauß) in Jeans und grünen Sweatshirt. Er fängt an von seiner Jugend in der alten BRD zu erzählen und irgendwas davon, dass Jesus uns befreien kann. Nacheinander treten weitere Charaktere (Paul Grill, Jule Böwe, Julischka Eichel, Peter René Lüdicke) auf, die genau wie der Jugendliche gekleidet sind. Sie fangen an, ein Teil seiner Erzählung zu werden. Tauchen mit ihm in seine Welt und seinem Sommer 1969.
Die Theateradaption „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Tennager im Sommer 1969“ (= „Die Erfindung der RAF“) von Armin Petras und Maja Zade entwickeln aus dem 800-seitigen Roman von Frank Witzel, ein Drama, welches mit Hilfe der Fantasiewelt eines Teenagers aus den späten 60-igern, die Zeit der BRD widerspiegelt und die mutmaßliche Entstehung der RAF aufdeckt. Verschiedene Perspektiven, unterschiedliche Geschichten und immer wieder neue Handlungsstränge entflammen Momente von Dramatik und Witz, halten das Spiel lebendig, schaffen es aber leider nicht bis zum Ende einen angenehmen Spannungsbogen zu konstruieren, der die unterschiedlichen Erzählweisen zu einem dramatischen Komplex zusammenfügt, weswegen das Spiel leicht konfus wirkt und hin und wieder ein Gefühl von Verlorenheit aufkommt.
Petras Inszenierung schafft es dennoch den facettenreichen Text mit fünf grandiosen Schauspielern (Jule Böwe, Julischka Eichel, Paul Grill, Peter René Lüdicke und Tilman Strauß) aus dem Berliner Schaubühnen und dem Stuttgarter Schauspiel Ensemble, sowie der Live-Band „Die Nerven“ gelungen umzusetzten. Immer wieder kommen Momente auf, in denen Choreografie, Musik, Sprache und Text in zugespitzter Dramatik auffallen, als Einheit einschlagen und gezielte Stimmungen ausströmen, die die Adaption lebendig machen.
Wie der Moment, in dem die vermeintlichen Mitglieder aus der RAF (Jule Böwe, Paul Grill, Julischka Eichel) von einem Banküberfall erzählen. Claudia (Jule Böwe) beschreibt den Tag des Überfalls, wie in einem Trauma gefangen. Als sie (Claudia) mit Bernd (Paul Grill) sich auf dem Weg machte, im Auto saßen, zur Bank gingen, ohne Masken, sich das Geld vom Tresor und von der Kasse einpacken ließen, rückwärts die Bank verließen, einen Mann überfallen…die Musik wird ganz laut, das Licht wird kalt, Christiane (Julischka Eichel) und Bernd (Paul Grill) wälzen sich auf dem Boden oder bespielen choreografisch das Bühnenbild. Claudia (Jule Böwe) zusammengekauert am Bühnenrand. Adrenalin.
>>…weil niemand [Dich] ernst nimmt, der nicht bereit ist zu töten.
Jeder Mord ist wichtig für die Revolution!<<
(Jule Böwe)
Schaubühne_Petras „Die Erfindung der RAF“ vorn: Jule Böwe, hinten: Julischka Eichel, Paul Grill. (C) Thomas Aurin.
Die Stuttgarter Rock-Band „Die Nerven“ liefern der Inszenierung den nötigen Beat und die einzelnen Mitglieder (Julian Knoth, Max Rieger, Kevin Kuhn) setzten sich sogar selber wohlgeformt in Szene. Neben der ganzen Tragik, die die Inszenierung mit sich bringt, gibt es da noch den Moment, in dem der Tennager (Tilman Strauß) dem Pfarrer Fleischmann (Peter René Lüdicke) sein Herz ausschüttet. Nicht nur die Politik lag der Jugend früher am Herzen, sondern auch die Umwelt, was eine bewusste Mülltrennung mit sich bringt. So erzählt der Jüngling voller Schuldbewusstsein, dem Würstchen essenden Pfarrer, der sich für nichts zu interessieren scheint, seine Teebeutel-Problematik, in der er den Beutel doch irgendwie nicht wirklich gut entsorgt habe. Das absurde Bühnengeschehen mit dem apathischen Pfarrer, bringt den Schauspieler Tilman Strauß so zum Lachen, dass er das Publikum mit in das Geschehen hineinzieht, was sehr schön ist.
Petras Inszenierung von „Die Erfindung der RAF“ schafft einen herausragenden Theaterabend an dem die Welt eines manisch-depressiven Tennagers Ende der 60-iger in der BRD und die vermeintliche Entstehung der RAF im Vordergrund stehen. Die Bezüge zu West- und Ost-Deutschland sind zwar vorhanden, aber nicht ausschlaggebendes Element an diesem Abend. Eher entstanden Sympathien gegenüber der im Schauspiel gegründeten Roten Armee Fraktion und ihren Mitgliedern, weil sich dort die Jugend wenigstens mal politisch engagiert hat.
Die nächsten Spieltermine für „Die Entstehung der RAF“| Schaubühne Berlin| 8.5., 29.5.2016| Karten unter: 030-8900-23 oder unter ticket@schaubuehne.de.
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