Weightwatch – Die Macht der Nahrung (26. und 27.7.2014)

Derzeit leben wir nach dem Philosophen Han in einer Leistungsgesellschaft, die nach permanenter Transparenz strebt. Wir sind auch nicht frei, sondern Knechte unseres Selbst. „Es ist insofern ein absoluter Knecht, als es ohne den Herrn sich freiwillig ausbeutet. Ihm steht kein Herr gegenüber, der sich zur Arbeit zwingt.“1 In der Leistungsgesellschaft wird der Körper zum Ausstellungsobjekt bestimmt. Leistungen und der Wert des eigenen Körpers werden just an Schönheitsidealen festgemacht. Für Han ist unsere Gesellschaft die Vollendung der Kontrollgesellschaft. Die normalisierte Kontrolle wirkt nun unter den einzelnen Subjekten. Die Bandbreite an sozialen Netzwerken trägt dazu bei, dass Individuen sich gegenseitig kontrollieren und ausspionieren. Persönliches für alle Welt freiwillig zur Schau stellen. Die experimentelle Installation „Weightwatch“ versucht über eine herbeigeführte Kontrollsituation in einem öffentlichen Raum mit ästhetischen Mitteln Machtstrukturen in Essstörungen und unseren Essverhalten aufzuzeigen. Die kontrollierte Nahrungsaufnahme als zentraler Bestandteil unserer Transparenzgesellschaft wird bis auf die Spitze getrieben. „Weightwatch“ soll die Aspekte der Theorien über gesellschaftliche Machtstrukturen von Foucault, Deleuze und Han offenlegen. Das heißt die Disziplinargesellschaft, in der der Mensch angefangen hat sich mit Hilfe von Institutionen selbst zu disziplinieren und diese Disziplinierung so verinnerlicht hat, dass Normierungstendenzen nicht mehr länger in einzelne Institutionen produziert werden, sondern jedes einzelne Individuum seine Selbstwahrnehmung selbstständig reguliert und normiert. Somit werden die Disziplinaranstalten von der Selbstkontrolle abgelöst. Ein gelungenes Beispiel ist „Von der zeitlich begrenzten Diät zur Ernährungsumstellung“, hier strebt das Individuum nicht mehr ein bestimmtes Ziel an, sondern entscheidet sich für die permanente (Selbst-)optimierung und steigert diese bis zu einer diffusen Norm. In der Installation steht der unterworfene Körper im Vordergrund, der die Besucher dazu auffordert über die transparente Leistungsgesellschaft und ihrem Verhältnis zum eigenen Körper nachzudenken. Gleichzeitig soll die Installation untersuchen, inwiefern der Mensch sich von Faktoren, wie Kontrolle und Disziplin während des Essens beeinflussen lässt.

Installation „Weightwatch“

Die Installation „Weightwatch“ fand am 26. und 27.7.2014 jeweils von 18 bis 20 Uhr im damenundherren e.V. in Düsseldorf statt. Das damenundherren ist ein öffentlicher Raum für Kunst, Kultur und Politik. Der öffentliche Raum ist besonders wichtig für die Installationsanordnung, weil „Weightwatch“ sich mit Aspekten des alltäglichen Lebens (Essen, Trinken et cetera) befasst und ein öffentlicher Raum eine authentische Darstellung des Alltäglichen ermöglicht, weil alle Räumlichkeiten des alltäglichen Lebens miteinbezogen werden können. Das damenundherren wurde in installationsrelevante Räumlichkeiten eingeteilt: Buffet, Bar, Fernsehzimmer, Wohnzimmer und Toiletten.

Das vegane Buffet setzte sich aus gesellschaftlich-deklariert „gesunden“ sowie „ungesunden“ Speisen zusammen. Gleichberechtigt wurden die Speisen nebeneinander gestellt, sodass die Besucher die Dichotomie in „gesund“ und „ungesund“ hinterfragen und bestenfalls feststellen, dass die Kategorien von „gesund“ und „ungesund“ gesellschaftlich konstruiert sind und es immer auf das Maß ankommt. Beispielsweise kann ein Hauch von Muskatnuss das Essen verfeinern, aber ab 4 Gramm treten beim Menschen schon Vergiftungserscheinungen auf. Über dem Buffet-Anfang hing an der Wand ein Ernährungsplan, der die Gäste darüber informierte, welche Speisen man zu welcher Tageszeit am besten essen sollten, um erfolgreich abzunehmen. Um das Buffet herum wurden fingierte und funktionierende Kameras installiert. Eine Webcam und eine Standkamera überwachten das Buffet. Dabei wurden die aufgenommenen Bilder im Fernsehzimmer mittels Beamer abgespielt. Die Wiedergabe der aufgenommenen Szenen sollte den Teilnehmern vor Augen führen, dass sie in einem überwachten Raum Nahrung zu sich nehmen, sowie hervorheben, dass sie gerade essen, was sie gerade essen, wie viel sie gerade essen und wie sie aussehen, wenn sie essen. Die Kameraüberwachung in „Weightwatch“ stellt den Focaultschen Aspekt der Überwachung dar, der dafür sorgen sollte, dass die Besucher anfangen sich zu disziplinieren, weil sie beobachtet werden und anfangen sich überwacht zu fühlen; auch, wenn sie nicht überwacht werden. Mit den Überwachungstechniken (Kameras, Tonaufnahmegerät und Webcam) wurde ein Panoptismus angestrebt. Die großen Schaufenster, durch die vorbeiziehende Passanten Besucher beim Essen beobachten konnten, sollten den Panoptismus-Effekt weiter untermalten. Zusätzlich zum Panoptismus wurde die Transparenzgesellschaft von Han über die Live-Übertragung der aufgenommenen Bilder aufgegriffen. Neben den Kameras am Buffet gab es eine Spiegelwand, in der die Besucher sich während der Essensnahme oder Nahrungsaufnahme spiegeln konnten. Die Spiegelwand verstärkte die Selbstbeobachtung während des Nahrungsakts. Die in „Weightwatch“ angestrebte Disziplinierung und Beobachtung sollte bei den Besuchern ein Moment der Selbstkontrolle auslösen, in dem die Besucher sich beim Essen permanent überwacht fühlen. Die Spiegelwand sowie der Ernährungsplan sollten die Selbstbeobachtung beziehungsweise den Zwang nach einem kontrollierten Essverhalten verstärken. Mit diesen Aspekten wurde versucht das zentrale Element von Deleuze Theorie die (Selbst-)Kontrolle in die Installation einzubauen. An der Bar konnte man sich mit Getränken eindecken. Dabei dienten die Barhocker als Sitzgelegenheiten und konnten in Verbindung mit der Theke für den Akt der Nahrungsaufnahme in Anspruch genommen werden. Im Wohnzimmer und im Fernsehzimmer gab es weitere Sitzgelegenheiten für den Akt der Nahrungsaufnahme. Unterdessen konnten sich die Besucher dort während des Essens die aufgenommen Bilder, die über den Beamer auf eine weiße Wand übertragen wurden, anschauen. Die Teilnehmer wurden an der Bar, im Wohnzimmer und im Fernsehzimmer während des Essens gefilmt. Die Wände des Wohnzimmers sowie die Wand des Fernsehzimmers dienten als Ausstellungswände, damit die Besucher im Laufe des Essens mit Bildern von fraglich-essgestörten Personen konfrontiert werden. Die ausgestellten Bilder waren Teil des „BMI-Project“ von Kate Harding (https://www.flickr.com/photos/77367764@N00/sets/72157602199008819/) . Die Autorin rief Menschen dazu auf, ihr Fotos samt den eigenen Maßen, der Body-Mass-Index-Kennzahl und der Einteilung dieser nach Unter-, Normal-, Übergewicht oder Fettleibigkeit einzusenden. Das entstandene Flickr-Album „Illustrated BMI Categories“ aus dem die ausgestellten Bilder stammen, sind Beispiele für die Willkür des BMI und beweisen wie wenig der BMI über den Gesundheitszustand eines Menschen aussagt.

Die ganze Installation wurde von einer musikunterlegten Tonspur begleitet. Die Tonspur setzte sich aus einer Auswahl von persönlichen Erfahrungsberichten von Essgestörten, Gedichten über Depressionen und verzerrte Körperbilder sowie Aussagen über eine disziplinierte und transparente Leistungsgesellschaft zusammen. Die Erfahrungsberichte stammen von der Spiegel TV Reportage „Wenn der Hunger zur Sucht wird – Das Leiden der Magersüchtigen“, der Autobiografie von Marya Hornbacher „Alice im Hungerland – Leben mit Bulimie und Magersucht“ und dem Roman von Margaret Atwood „The Edible Woman“. Die Gedichten von Sylvia Plath „Ariel“ und Margaret Atwood „Fying inside your own body“ behandeln hauptsächlich die Themen Depression und verzerrte Körperbilder, wobei beides Begleiterscheinungen von Essstörungen sind. Bei den Aussagen über die Disziplinargesellschaft und der transparenten Leistungsgesellschaft handelte es sich um eine Dokumentation über Foucaults Werk „Überwachen und Strafen“ sowie ein Interview mit den Philosophen Han. Unter den Tonaufnahmen wurde passende minimalistisch-elektronische Musik gelegt. Die Tonspur diente als musikalisches Stilmittel, das für eine leicht melancholische Atmosphäre sorgte, die die Besucher für die prekäre Grenzziehung von „normalen“ und „pathologischen“ Essverhalten sensibilisierte. Weiter sollte es das Reflektionsvermögen der Gäste steigern und dadurch die Aspekte Selbstkontrolle und Disziplinierung stützen.

1 Han, Byung-Chul: Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. Frankfurt am Main: S.Fischer Verlag, 2014. S.10.

Ein Projekt von Sabine Schmidt (Konzept| Regie| Ton), Kim Hülsewede (Konzept| Stimme), Katrin Müller (Stimme), Johannes Kohler (Musik).

Mit freundlicher Unterstützung von der Fachschaft Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, damenundherren e.V., der Bäckerei Troll (http://www.trollbrot.de/)  Katrin Müller sowie  Ilja Burkhardt.

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