Männer spielen Theater und Frauen zeigen ihre Brüste
Noch heute existiert die Frau neben dem Mann und wird selten als selbständiges Subjekt mit eigenständiger Identität wahrgenommen. Das patriarchale System sitzt tief in den Köpfen der Menschen und lässt nur schwer mehrere Geschlechter und andere Sexualitäten zu. Selbst in der Schauspielerei, einer Branche in der Wandlungen das täglich Brot sind, lassen sich Benachteiligungen feststellen. Die Frau wird weiterhin unterdrückt.
Um zu erfahren, wie das patriarchale System sich in der Schauspielerei ausdrückt, hat sich das FreiGeist-Magzine mich mit der Schauspielerin Anna Gesewesky getroffen, die bis 2012 ein Schauspielstudium an der Ernst Busch genoss und nun bei den Burgfestspielen Bad Vilbel 2015 die Hauptrolle in der Inszenierung „Die Päpstin“ spielt.
In einem Café haben wir über Schauspielkunst und die Rolle der Frau in der männerdominierten Theaterlandschaft gesprochen.
FG: Was interessiert Dich an der Schauspielerei?
Mein Interesse an der Schauspielerei kommt aus der Lust an Stimme, Bewegung und Inhalt. Damit meine ich Geschichten, die ich gern erzählen möchte oder Texte, bei denen ich finde, dass sie an die Öffentlichkeit gehören. Gemeinsam in einer Gruppe zusammen kommen, um etwas zu erzählen – das hat mich immer am Schauspiel im Theater gereizt.
Wir müssen kein Publikum bedienen, wir sind hier für uns. – Anna Gesewsky
FG: Welche Inszenierungen haben Dich am meisten geprägt?
Sehr geprägt hat mich die BAT Inszenierung von William Shakespeares „Troilus und Cressida“, in der ich eine Doppelrolle spielen durfte. Ich verkörperte den griechischen Krieger Ajax und die schöne Helena. Manchmal sogar in einer Szene. Von einer Sekunde zur nächsten musste ich vom kämpferischen Krieger in die schöne Helena wechseln, die das Publikum in eine dreckige Szenerie verführt hat. Das schnelle Umspringen von einer Rolle zur anderen habe ich sehr geliebt. Weiter hat mich die Zusammenarbeit mit Renè Pollesch für die Inszenierung „I’m stalking myself to death“ geprägt. Wir haben uns viel über den Inhalt verständigt und diskutiert, was wir über unsere Gesellschaft und unsere Zeit denken. Während dieser Zusammenarbeit habe ich zwei bedeutende Theaterelemente schätzen gelernt: Wir treffen uns hier für uns und wir müssen kein Publikum bedienen.
FG: Wie erlebst Du die männerdominierte Theaterlandschaft?
Im Theater gibt es weniger Frauenrollen als Männerrollen; was mich ärgert. Neu geschriebene Stücke ändern dies nicht unbedingt; auch wenn es tendenziell besser wird. Einige Regisseure reflektieren auch nicht wirklich über Frauenrollen und finden durch inhaltliche Diskussionen kaum Zugang. Warum muss Helene aus Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“ weggehen und weinen, wenn es zu einem Konflikt kommt? Wieso kann sie sich nicht dieser Situation stellen? Das ist doch viel spannender.
FG: Werden Stereotype von weiblichen und männlichen Geschlecht auf der Bühne beibehalten?
Ich habe den Eindruck, dass in vielen Theaterstücken eine Vorstellung davon dominiert, wie Frauen und Männer zu sein haben und ich spiele nicht gern Klischees von Frau- und Mann-Sein, das ist mir einfach zu platt. Es sei denn, es ist eine kluge und kontroverse Tragikomödie. Aber generell will ich keinen Menschen auf sein Geschlecht reduzieren.
FG: Also sind Frauen in der Schauspielerei benachteiligt?
Ja, auf jeden Fall. Die typischen Machtmechanismen, die Frauen auf der Bühne klein machen, sind weitgehend präsent. Männer haben in der Regel viel mehr Text und deshalb auch eine größere Bandbreite an Spielmöglichkeiten. Es geht nicht, dass bei vielen Produktionen der Textanteil der weiblichen Figuren oft gering ist. Und wenn ich die Rolle füllen möchte, muss ich mir irgendetwas ausdenken. Auch wenn es viele spannende stumme Rollen gibt, sind viele Männer ganz klar im Textvorteil. Warum kann ich nicht den Robespierre oder Danton in Georg Büchners „Dantons Tod“ spielen? Einmal meinte auch ein Regisseur zu mir: „Du bist eh spannend; es reicht, wenn Du auf der Bühne anwesend bist.“ Hallo? Ich bin Schauspielerin. Schauspiel kommt von Acting, das heißt mehr als stumme Projektionsfläche zu sein.
Frauen kriegen in der Regel weniger Gage
Natürlich gibt es auch in diesem Beruf eine Differenz im Lohn. Frauen kriegen in der Regel einfach weniger Gage. Also weniger Geld, weniger Text und weniger Rollen. Manchmal weniger spannende Rollen und weniger feste Stellen. Ich sehe mich aber nicht immer als sozialisierte Frau, sondern als das, was ich bin.
FG: Momentan spielst Du bei den Burgfestspielen Bad Vilbel in Adelheid Müthers Inszenierung „Die Päpstin“ die Hauptrolle der Päpstin Johanna, die aufgrund ihres Wissensdrangs ihr Geschlecht leugnen muss. Verbindet Dich etwas mit Johanna?
Was mich auf jeden Fall mit Johanna verbindet, ist ihre Kämpfernatur. Ich bin auch eine Kämpferin. Außerdem schätze ich an Johanna, dass sie immer ihren Weg geht.