Das Ende des Individuums

In der dystopischen Sci-Fiction Inszenierung >>Women in Trouble<< (UA 30. November 2017, Volksbühne Berlin) kreiert die Nachwuchsregisseurin Susanne Kennedy eine Text-Collage aus Vorträgen, Interviews sowie Blogs und verbindet diese mit einer extremen Künstlichkeit. Die Schauspieler*innen treten hier nicht als eigenständige Individuen mit einer persönlichen Geschichte auf. Sie sind maskiert, haben keine eigene Stimme und haben jegliche Individualität verloren. In >>Women in Trouble<< sind sie Avatare. Sie haben keine spürbaren Emotionen, ihre Worte kommen vom Band. Selten entstehen wirkliche Dialoge, die es möglich machen die zusammengesetzte Collage zufassen oder einen Plot zu erkennen. Hauptcharakter Angelina Dreems, die mehrmals in reproduzierter Form auf der Bühne steht, ist eine an Krebs erkrankte Schauspielerin, die von einer Szene in die nächste übertragen wird. Szenen wiederholen sich oder präsentieren neue Situationen, in denen die Avatare aufeinandertreffen. Da die Collage keine ganze in sich schlüssige Story bietet, bleibt vieles fragmentarisch. Befinden wir uns in Angelina Dreems Traum? In einer virtuellen Realität oder in einer Dystopie, in der der Mensch nur noch ein plastisches Abbild eines Menschen ist? Das Bühnenbild von der Künstlerin Lena Newton unterstützt sehr gelungen und in eindrucksvoller Weise Kennedys artifizielle Ästhetik, in dem die konzipierte Drehbühne unterschiedliche Räume aufzeigt, wie beispielsweise Klinik, Fitnessraum, Rezeption, Schlaf- und Wohnzimmer, Badezimmer. Das Setting der Inszenierung erinnert stark an dystopische Sci-Fiction-Filme aus den 70iger Jahren.  Die dazugehörige Entfremdung der Schauspieler*innen von ihren Wesensmerkmalen unterstützt die Botschaft, dass das Individuum sich als an und für sich abschafft. Es existiert nicht mehr und wird zur reproduzierbaren Plastik ohne Geschichte.

[caption id="attachment_1246" align="aligncenter" width="800"] >>Women in Trouble<<, Marie Groothof, Foto: Julian Röder.[/caption]

Kennedy begeistert mit >>Women in Trouble<< aufgrund ihrer eigentümlichen Ästhetik und einer Welt, die sie posthumane Realität nennt. Das installative Theater bringt reproduzierbare Kunstfiguren ohne Emotionen und individuelle Eigenschaften auf die Bühne. >>Women in Trouble<< vergegenwärtigt unseren neoliberalen Kapitalismus, in der der Mensch zur reproduzierbaren Ware geworden ist. Der reproduzierbare Mensch wird über Kleidung, Konsum und Krankheiten zur Werbefläche. Zum Beispiel ist der Avatar Angelina Dreems in unterschiedlich weiß-gelabelten T-Shirt gekleidet, die mit der Aufschrift  youtube oder dem Langnese-Herz bedruckt sind. Ein weiterer Avatar referiert minutenlang über ein Krebsmedikament. Mit Individualität hat es nichts zu tun, oder spiegeln Kleidung, Konsumverhalten und Erkrankungen unser Selbst wieder? Reduziert sich der posthumane Mensch auf Konsum und Reproduktionsprozesse?

Die installative Inszenierung >>Women in Trouble<< fasziniert in erster Linie wegen ihrer modernen Ästhetik und ihrer Neigung zum Künstlichen. Leider kann diese Ästhetik ohne greifende Story oder einen erkennbaren Plot keine fesselnde Spannung herstellen, sodass es für eine 150 minütige Inszenierung zu langatmig ist.

>>Women in Trouble<<| Volksbühne Berlin| weitere Spieltermine: 10.12. um 18 Uhr, 23.12. und 27.12. um 19.30, 6.1. und 20.1.2018 jeweils im großem Haus| Karten unter: besucherservice@volksbuehne-berlin.de

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