Psychosomatik: Wenn das seelische Leiden Einfluss auf den Körper nimmt und körperlichen Schmerz verursacht – am Beispiel von „Colitis ulclerosa“ (2010)
[1] wird der kranke Mensch als Ganzes erfasst, d.h. „mit Leib und Seele“. Es wird gefragt, wie Körper und Seele miteinander agieren (Bsp. Trauer -> weinen -> Salzwasser fließt aus den Augen) und inwiefern seelisches Leiden sich in körperliche Schmerzen ausdrücken kann.[2] Oder können die Ursachen für manche körperlichen Erkrankungen seelische Faktoren sein? In diesem „Kurz-Essay“ werden die zuletzt gestellten Fragestellungen behandelt, also inwiefern kann seelisches Leiden ein Auslöser für körperliche Erkrankungen sein. Dabei werde ich mich auf die psychosomatische Krankheitsgruppe, psychogen-organisch beschränken. Eine psychogen-organische Krankheitsgruppe bedeutet, dass psychische Faktoren eine wesentliche Rolle bei einer Erkrankung gespielt haben, die mit sichtbaren anatomischen „Organschädigungen“ einhergehen. Zur expliziten Verdeutlichung dieser Krankheitsgruppe wird das Krankheitsbild „Colitis ulcerosa“ vorgestellt und gezeigt, wie sich eine psychogen-organische Krankheit äußern kann. Anschließend werden die möglichen Ursachen für diese Erkrankung präsentiert, wobei eine Konzentration auf dem psychosomatischen Erklärungsansatz stattfindet, d.h. an Hand von wissenschaftlicher Literatur soll die These, die Erkrankung „Colitis ulcerosa“ habe ihre Ursache in der Psychosomatik und kann deshalb als eine psychogen-organische Krankheit gelten, präsentiert werden. Es ist direkt zu erwähnen, dass der Ansatz, die „Colitis ulcerosa“ sei eine psychogen-organische Krankheit, spekulativ ist, trotz vieler wissenschaftlicher Untersuchungen, das bedeutet die genauen Ursachen für diese Erkrankung sind immer noch nicht endgültig geklärt.
Psychosomatik: Wenn das seelische Leiden Einfluss auf den Körper nimmt und körperlichen Schmerz verursacht – am Bsp. von „Colitis ulclerosa“
Die „Colitis ulcerosa“ ist eine chronisch-schubartige Entzündung der Schleimhaut des Dickdarms. Sie beginnt im Mastdarm und breitet sich meist in Richtung des linkseitigen Dickdarms aus. Es ist auch möglich, dass die Entzündung den ganzen Dickdarm befällt. Sie tritt meist zwischen dem 20 – 40 Lebensjahr auf, begleitet von den Symptomen: blutig-schleimiger Durchfall, krampfartige Leibschmerzen (Dickdarm, Mitte des Unterbauchs, Kreuzbeingegend). Nach langjährigem Verlauf kann es weiterhin zu Entzündungen an anderen Organen und Darmkomplikationen (manchmal mit einer Kolektomie[3] verbunden) kommen. Außerdem steigt das Risiko für Darmkrebs erheblich z.B. bei einer 10 – jährigen Erkrankung steigt das Risiko, um 10% und bei einer 25 jährigen Erkrankung, wo der gesamte Dickdarm betroffen ist, steigt das Risiko bis auf 40%. Als Therapie kommen nur individuelle Vermeidungsdiät und eine zusätzliche Behandlung mit entzündungshemmenden Medikamenten (Kortikosteroide, Salizylate) in Frage, weil die Ursachen noch ungeklärt sind und eine vollständige Heilung nicht möglich ist. „Eine ursächliche medikamentöse Therapie der Colitis ulcerosa gibt es nicht, weshalb eine vollständige Heilung nicht möglich ist.“[4] Nur in schweren Fällen gibt es noch die Möglichkeit die „Colitis ulcerosa“ mit zusätzlicher Einnahme von Immunsupressiva zu behandeln, weil sie eine Autoimmunerkrankung ist, sodass die ferngeleitete Immunabwehr gebremst wird und die entzündungshemmenden Medikamente gezielt wirken können. Die Ursache ist, wie bereits erwähnt weitgehend unbekannt. Dennoch werden mehrere Faktoren angenommen, die bei der Entstehung der „Colitis ulcerosa“ zusammenwirken: – erbliche Veranlagung (familiäre Häufung) – Ernährung und Nahrungsbestandteile – gestörtes Immunsystem – Bakterien, Viren – psychosomatische Ursachen. Es existieren viele Studien über den psychosomatischen Ansatz bei der Erkrankung „Colitis ulcerosa“, dennoch sind sie auch zweifelhaft. Aber eine Tatsache ist, dass Patienten, die häufig belastende Lebensereignisse (psychische Belastung) erleiden mussten, ein erhöhtes Schubrisiko mit vermehrten Durchfällen und krampfartigen Leibschmerzen haben. Eine weitere Feststellung ist, dass einige Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen („Colitis ulcerosa“, „Morbus Crohn“, „Colon irritabile“) nach einer Operation, wo ihr Organ entfernt wurde, einen Symptomwandel erleiden, d.h. es bestärkt die Annahme, dass bei entzündlichen Darmerkrankungen, wie der „Colitis ulcerosa“ Persönlichkeits- und Verhaltensfaktoren eine erhebliche Rolle spielen. „Die Untersuchungen weisen nach, daß alte, lange zurückliegende Symptome wieder aufflammen können.“[5] Ein Kausalzusammenhang ist schwer nachweisbar. Durch einige Studien und Untersuchungen mit dem thematischen Apperzeptionstest (TAT)[6], ließen sich Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Persönlichkeit der „Colitis-ulcerosa-Kranken“ ermitteln. „(…) die Colitis-ulcerosa-Kranken können schwer „nein“ sagen, sie verausgaben sich übermäßig bei ausgeprägten Verpflichtungsgefühlen. Zwangssymptome mit peinlicher Ordnung und Sauberkeit, Pünktlichkeit, Gewissenhaftigkeit und dem Drang nach Perfektionismus kommen hinzu. (…) In der prämorbiden Persönlichkeit werden große Passivität oder ein überkompensatorisch aktives Verhalten als Ausdruck einer Ich-Schwäche beobachtet. Wesentliches Merkmal der „narzißtischen Bedürftigkeit“ ist die hochambivalente Abhängigkeit einer „Schlüsselperson“ (…) mit dem Bedürfnis nach Zuwendung, Nähe, Geborgenheit. Eine reife Individuation wird verhindert, die Betroffenen stagnieren in infantiler Abhängigkeit. Entsprechend findet sich ein unsicheres Selbstwertgefühl, das sich in (manchmal überspielten) Minderwertigkeits- und Schuldgefühlen zeigt. Verhaltensnormalität, Affektarmut, Unterwerfungstendenzen weisen auf eine Störung des Aggressionsbereichs, die sich in Leistungs- und Opferbereitschaft wiederfinden kann.“[7] Des Weiteren zeigt die pathologische Familienstruktur mit Harmonierungstendenzen oft eine dominierende Mutter und einen brutalen Vater[8]. Es wird weitgehend eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung festgestellt. Die Mutter wird als eine „(…) übermächtige, herrschsüchtige, perfektionistisch kontrollierenden, überfürsorglich und/ oder offen zurückweisenden Mutter, die zu wenig emotionale Wärme ausstrahlt, die Strebungen des Kindes nach eigener Entwicklung blockiert und es damit in einer symbiotischen Abhängigkeit festhält.“[9] beschrieben. Hinzu kann die Mutter gewalttätig gegenüber ihr Kind werden. So eine Mutter-Kind-Beziehung, wo die Beziehungsqualitäten „(…) Kälte, Verständnislosigkeit, fehlende (…) Empathie, gewalttätige (…) Herrschsucht, individuationsverhinderte (…) Einengung und Umklammerung (…)“[10] sind, sorgen im Erwachsenenalter bei den Betroffenen für das unbewusste Bedürfnis nach einer „Schlüsselfigur“, d.h. Mutterersatz. Es fehlt vor allem an konstanter emotionaler Verfügbarkeit einer Bezugsperson, Empathie und Geborgenheit. Es entsteht bei den Betroffenen ein Grundgefühl der Einsamkeit sowie die Anpassung an die narzisstischen Bedürfnisse der Mutter. Man konnte bei den „Colitis-ulcerosa-Kranken“ ein zwanghaftes Verlangen nach der „Normalität“ (Verhaltensnormalität) feststellen. „In den Untersuchungssituationen sind sie [die „Colitis-ulcerosa-Kranken“] überaus kooperativ, freundlich, pünktlich, tun alles „verlangte“. In bezug auf einige Bezugspersonen äußern sie keine Aggressionen.“[11]Die Verhaltensnormalität ist eine Strategie zur Abwehr von tiefen Depressionen. Die „Colitis-ulcerosa-Kranken“ möchten dem Anschein nach, „normal sein“, um wenigstens die gestellten Anforderungen der Umwelt zu erfüllen.[12] Aus den Ergebnisses des TAT geht das Phänomen der „Schlüsselfigur“ mit einem Objektverlust“ einher, d.h. einem schmerzlichen Verlust einer Beziehungsperson („Schlüsselfigur“), wodurch der Betroffene in die Situation von Verzweiflung, Hilf- Hoffnungslosigkeit gebracht wird, ohne eine Auseinandersetzung mit der Trauer.[13] Als auslösende psychosomatische Faktoren der „Colitis ulcerosa“ lassen sich: „Objektverlust“ (zentraler Faktor), „negative Objekterwartung“ (Urmisstrauen) und Leistungszwang (Überforderung) nennen, d.h. diese Faktoren ließen sich als auslösende Situationen für das Erstauftreten der „Colitis ulcerosa“ kennzeichnen. Der „Objektverlust“ konnte auch bei Anamnesen im Sinne einer Lebenssituation nachgewiesen werden. Der innerliche Verlust der „Schlüsselfigur“ wird meist immer wieder neu erlebt und ist meist der Auslöser für neue Krankheitsschübe.[14] Die Überforderung als weiterer Faktor für das Auslösen der Erkrankung, geht mit einem gehemmten Aggressionsverhalten konform. „Die Figuren zeigen trotz Überforderung und Ersticktwerden der eigenen Individuationsimpulse eine stumme Fügsamkeit, Anpassung, Gefühlsunterdrückung, Leistungs- und Hergabebereitschaft, apathische Pflichterfüllung und den Einsatz ihrer ganzen Energie ohne Hoffnung auf Erfolg (d.h. ohne Hoffnung, die Forderungen der Primärobjekte je erfüllen zu können, akzeptiert zu werden).“[15] Ein wichtiger Punkt ist hierbei, dass die gehemmte Aggression der Patienten sich in eine Autoaggression äußert, d.h. eine Aggression gegen die eigene Person.[16] Ein weiterer Faktor den der TAT illustriert: ein defizitäres Selbstwertgefühl als Ausdruck der narzisstischen Kränkung und des erlebten Abgelehntseins. Im TAT wir deutlich, dass die Gefühlslage der Patienten von „Colitis ulcerosa“ eine entscheidende Rolle bei dem Wiederaufleben der Kolitissymptome spielen.[17] „Engel (…) interpretiert diese mit Empfindungen des Alleinseins, Verwaistseins, Verlassenseins, der Unerwünschtheit und der Minderwertigkeit einhergehenden Gefühle im Sinne einer Depression. Bewusste Wut dagegen löse, selbst wenn sie unterdrückt wird, niemals einen Kolitisschub aus, es sei denn ein Gefühl der Hilflosigkeit und Verzweiflung folge darauf.“[18] Im Allgemeinen handelt es sich bei den Patienten immer um ein passives Sehnen und nicht erlebte Affekte richten sich gegen die eigene Person. Einige Patienten erlitten nach ihrer Kolektomie einen Symptomwandel, d.h. nach der Entfernung ihres Darms traten neue psychosomatische Beschwerden auf, wie Hypertonie, rheumatische Beschwerden, Atembeschwerden, Nasen-Rachen-Raum, Kopfschmerzen, Hypotonie. Fazit: „Bei einer Zusammenschau der Ergebnisse von erweiterter Anamnese und TAT- Befunde wird deutlich, daß es sich bei den untersuchten operierten und nicht operierten „Colitis-ulcerosa-Patienten“ um schwere psychosomatische Störungen handelt, die vor dem Hintergrund einer gravierenden frühkindlichen Beziehungsstörung verständlich werden.“[19] Aber es ließ sich auch feststellen, dass „(…) sich die Persönlichkeitsmerkmale wie Neurotizismus, Depressivität, Gehemmtheit und emotionale Labilität im akuten Krankheitsstadium regelmäßig finden lassen, aber in der Remissionsphase kaum nachzuweisen sind.“[20] Wiederum ist festzuhalten, dass der TAT viele entscheidende Persönlichkeits- wie Verhaltensmerkmale des „Colitis-ulcerosa-Kranken“ aufgedeckt hat und sich so viele „psychische Gemeinsamkeiten“ unter den Patienten finden ließen, sodass die Vermutung, die Ursache der „Colitis ulcerosa“ sei eine psychosomatische, extrem verstärkt. Ein weiteres Merkmal, was bei mehreren Patienten festgestellt wurde, ist, dass Krankheitsschübe (Rezidive), durch belastende Lebensereignisse oder anderen emotionalen Belastungen ausgelöst werden. Auch das Phänomen der Symptomverschiebung bei „Colitis-ulcerosa-Kranken“ nach einer Kolektomie, trägt erneut zu einer Verstärkung der Annahme bei, dass die „Colitis ulcerosa“ eine psychosomatische Erkrankung sei. Ich komme zu dem Schluss, dass die Psychosomatik eine zentrale Ursache bei der Erkrankung „Colitis ulcerosa“ ist und denke, dass die Psyche des Patienten eine sehr wichtige Rolle bei der Diagnose und dem weiteren Therapieablauf spielt.