Straßenschlachten am Berliner Gorki

Regisseur Sebastian Baumgarten und Top-Ensemble lassen mit DICKICHT – ein Stück nach Brecht – das Gesindel von Chicagos-Straßen auf der Bühne des Maxim Gorki Theater kämpfen.

Als der Dramatiker Bertolt Brecht im Jahre 1921 sein Frühwerk >>Im Dickicht<< verfasst, ist er noch immer von der Atmosphäre der Berliner Großstadt, die er 1920 bei einem Ausflug kennen gelernt hat, beeindruckt. Der Mensch entfremdet sich von der Arbeit und von den Menschen; natürliche Beziehungen zerfallen, wie die (bürgerliche) Familie. Die Individuen vereinzeln sich und verlieren sich in untergründigen Milieus, um sich ihrer Selbst bewusst zu werden. Der Mensch verliert an Emotionalität und wird kalt. Der Regisseur Sebastian Baumgarten hat mit dieser Kälte experimentiert, in dem er zwei Ebenen erschaffen hat: die Leinwand und die Bühne. So erscheinen die Charaktere nicht fassbar, weder auf der Leinwand noch auf der Bühne. Die Figuren verfremden sich, in dem sie immer wieder aus der Leinwand auf die Bühne heraustreten. Baumgartens Verfremdung hat dialektische Elemente, in dem er das Bild der Schauspieler von der Leinwand mit der Stimme der Schauspieler auf der Bühne als Einheit von Stimme und Bild synthetisiert, das heißt die Schauspieler treten als vollständige Charaktere auf der Bühne auf. Der Schauspieler ist nun in der Einheit seiner Rolle, aber der Zuschauer kann sich durch die Verschiebungen der Ebenen nicht in diese Rolle einfühlen, sondern es bleibt beim Betrachten und Wahrnehmen der Entfremdung und des Zerfalls.

Dimitrij Schaad, Alesksandar Radenković in "Dickicht" nach Bertolt Brecht, Regie Sebastian Baumgarten, Bühne Robert Lippok, Kostüme Jana Findeklee, Joki Tewes, Musik Stefan Schneider, Video Hannah Dörr, Dramaturgie Ludwig HaugkDimitrij Schaad, Alesksandar Radenković. Foto: Ute Langkafel

Regisseur und das Gorki-Ensemble aus Top-Schauspielern (Lea Draeger, Mateja Meded, Aleksandar Radenković, Taner Şahintürk, Dimitrij Schaad, Norbert Stöss, Thomas Wodianka und Till Wonka) vollziehen Brechts V-Effekt in einem sehr anspruchsvollen und hoch ästhetischen Stil, was immer wieder fasziniert und fesselt. Die Geschichte zwischen dem Holzhändler Shlink (Thomas Wodianka) und dem Leihbücherei-Angestellten George Garga (Till Wonka) wird nachvollziehbar erzählt, der Kampf zwischen den beiden bringt den Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft und den Selbstverlust der Charaktere, vor allem durch Gargas Schwester Marie (Lea Draeger) auf den wunden Punkt. Sie prostituiert sich, nimmt das Geld, wirft es aber anschließend aus dem Fenster.

Baumgartens Stückfassung setzt sich nicht nur aus den beiden Brechtfassungen von >>Im Dickicht (der Städte)<< zusammen, sondern auch aus >>Der Dschungel<< Upton Sinclair und aus Alfred Döblins >>Die drei Sprünge des Wang-Iun<<, um den Kampf und die Entfremdung des Einzelnen auf den Punkt zu bringen. Obwohl die großartige und hoch ästhetische Leistung von Ensemble und Regisseur bewundernswert ist, war der Abend ohne Popcorn etwas langatmig. Lieber hätte mir das Ensemble mehr auf der Bühne als figurativen Charakter gefallen; als auf der Leinwand.

>>DICKICHT<<| Maxim Gorki Theater Berlin| Spieltermine: 22.4. (+ 19.00 Uhr Einführung) und 12.05. jeweils um um 19.30 Uhr| Karten unter: ticket@gorki.de oder 030-20221-115

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