Toxische Männlichkeit

Ego-Mephisto auf der Bühne. Und das auch noch in dreifach anzugtragender Ausführung. Die jungen Schauspieler (Daniel Noël Fleischmann, Christoph Gummert, Justus Wilcken) strotzen nur so vor gnadenloser Männlichkeit, wenn sie versuchen, den „ganzen Kreis der Schöpfung“ zu fassen. Statt wie Goethes Faust vom „Himmel durch die Welt zur Hölle“, beginnt das Gastspiel „Faust. Montagearbeit am deutschen Klassiker“ (UA Akademie für Darstellende Kunst Baden Württemberg, 2018) des Regisseurs Max Schaufuß direkt in der Hölle und geht noch weiter in den Keller, genauer: Den Kerker, in dem der Österreicher Josef Fritzl seine junge Tochter 24 Jahre gefangen gehalten hat. Sie wurde mehrfach vergewaltigt, hat zahlreiche Kinder gebären müssen, deren siebtes nach der Geburt verstarb und vom Vater im Ofen verbrannt wurde. Das schockierende Gewaltverbrechen erschütterte 2008 die Welt und veranlasste die Autorin Elfriede Jelinek, die bestürzende Tat mit Goethes Gretchentragödie zu verbinden. Entstanden ist „Faustin and Out“, ein Schreckensspiel mit ungefilterter Sprache, um die Perversität des Vaters, Schöpfers und Mannes schonungslos wiederzugeben.

Jelineks Wunsch, das Drama „Faustin and Out“ nur in Verbindung mit Goethes Faust aufzuführen, kommt Schaufuß und die Dramaturgin Annika Henrich*) in ihrer Spielfassung nach – und mischt noch einiges mehr hinzu. Der Mann, der nicht Gott ist, aber so gerne Gott spielen möchte, steht hier als Schöpfer und Zerstörer auf der Bühne. Daneben die Frau, eine nörgelnde und stinkende Nymphomanin, die immer gleich zum Arzt rennt. „Die Fotze will nur durchgefickt werden, ansonsten geht sie fremd“, heißt es, wenn in einer Art szenischer Lesung der Text des längst vergessenen, YouTube-Phänomens „Assi-Toni“ in seiner ganzen, quälenden Länge vorgetragen wird. Schaufuß‘ Montagearbeit erreicht in dieser Beschimpfung ihren Höhepunkt. Die Frau, eine minderwertige, lustgeile Fotze. Kein Individuum mit Subjektcharakter. Nur ein fickbares Stück Fleisch, welches den Mann seiner Männlichkeit beraubt.

Der Versuch, die toxische Männlichkeit unserer Gesellschaft zu punktieren, funktioniert nicht, indem die Frau in der Manier einer Schmähung unkommentiert diffamiert wird. Der in den Worten liegende Hass, die angestaute Wut und Aggression, mildern sich kaum durch stimmige Ästhetik und teilweise humorvollen Zynismus. Jelineks „Faustin and Out“ ist ein Drama gegen die konsumistische Gewalt an der Frau, nicht dafür. Auch der homosexuelle Mann unterliegt der Toxizität. Der Begriff „schwul“ wird hier mit abwertendem Charakter aufgegriffen und für billige Lacher ausgenutzt. Homophobie wird drastisch reproduziert. Der Regisseur Schaufuß gebraucht den Begriff „schwul“ als Diffamation auf der Bühne, somit erkennt er diese an. Tatsächlich rassistisch erscheint eine Szene, in der ein Schauspieler sich das Rindebecken vom Schlagzeug auf den Kopf setzt und ein vermeintliches Klischee der chinesischen Bevölkerung nachahmt.

In Anbetracht des wachsenden europäischen Rechtspopulismus, in dem die homosexuelle Minderheit vermehrt (staatlicher) Gewalt ausgesetzt ist, ist dies nicht ohne weiteres tragbar. Auch ein junger Künstler sollte sich mit gegenwärtigen politischen Verhältnissen auseinandersetzten, eine Sensibilität entwickeln, sich seiner politischen Verantwortlichkeit bewusst sein und dementsprechend agieren.

Das maskuline Gift in der Inszenierung „Faust. Montagearbeit am deutschen Klassiker“ ist auf Provokation und Aggression aus, erreicht dies aber nur durch politische Intoleranz und Desavouierung von Opfern und nicht durch einen kritisch-reflektieren Umgang mit dem Patriarchat. Latente Kritik, die sich in übertriebener Gestik oder Mimik äußert, ist angesichts der permanent reproduzierten Sprache der Gewalt nicht ausreichend. Sie ist zu subtil, wirkt nicht und ist missverständlich. Ein kritischer Umgang mit toxischer Männlichkeit gehört ausgesprochen, vor allem im Sprechtheater.

Regisseur Schaufuß hat sich mit dieser Arbeit selber vergiftet, indem er die Macht der Sprache unterschätzt, sie mit der Gewalt der Bilder kreuzt und dadurch noch verdoppelt. Die Vergewaltigung einer Babypuppe auf der Bühne, welche im Anschluss ein Kind gebärt, ist als zusätzliche Eskalation pietätslos und keine geeignete Anspielung. Es entsteht eine Szene ohne wirklichen Bezug. Die Hölle, die Schaufuß auf der Bühne entfacht, ist keine imaginäre und kritische Welt. Kein reflektierter Blick auf Maskulinität, sondern bloße Bespiegelung einer rassistisch-patriarchalen Gesellschaft.

*) Appendix: Die Rezension ist ein Beitrag für den OUTNOW-BLOG 2019. Nachdem die Redaktion –vor Veröffentlichung meiner Kritik– dem Produktionsteam der Inszenierung „Faust. Montagearbeit am deutschen Klassiker.“ (BA-Inszenierung 2018) meine Rezension geschickt hatte –ohne Absprache und weswegen, bleibt unklar– , ist die junge Dramaturgin Annika Henrich auf mich zu gekommen, beschwerte sich über meine Kritik und den vorgeworfenen Rassismus. Sie erklärte mir Details aus dem Probenprozess, in dem sie auch Zweifel über die sexistischen Textpassagen gehabt hatte, welche die männliche Besatzung ihr aber durch eine weitere Erläuterung genommen hatten. Anschließend sei sie mit den Passagen einverstanden gewesen. Fügte aber zugleich hinzu, dass die Schauspieler, nach den Proben immer „weinend unter der Dusche“ standen, weil sie den sexistischen Text nicht sprechen wollten. „Rassistisch (Sexistisch) sei die Inszenierung aber nicht“, vergewisserte mir die junge Dame, die diffamierte Frau müsse, eigentlich Mitleid mit den toxischen Männern haben.

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