„Nationalismus ist die Pest“

Am 25.9.2017 eröffnete das Berliner Ensemble mit >>EUROPA!<< seine Dialogreihe >>Friedman im Gespräch<< und konfrontierte seinen ersten Gast Joschka Fischer mit der Frage: >>Wie soll es mit der europäischen Union weitergehen?<<

Kaum auf dem Bühnen-Sofa Platz genommen, fragt der Jurist, Publizist und Fernsehmoderator Michel Friedman seinen Gast Joschka Fischer, ehemals Parteimitglied bei den Grünen, Außenminister (1998-2005) und nun selbstständiger Berater für internationale Institutionen, wie es mit der europäischen Union weitergehen soll? Schon bevor Fischer darauf antworten kann, pöbelt eine AfD-Sympathisantin irgendetwas mit >>Hitler und Europa<<. Friedmans Gesprächsreihe am Berliner Ensemble beginnt einen Tag nach der Bundestagswahl, in der nun wieder offiziell eine nationalsozialistische Partei mit 12,6 % in den Bundestag einzieht. Rassismus ist wieder salonfähig geworden; doch im Gegensatz zu vergangenen Zeiten sind zumindest die Stimmen an diesem Abend nicht still und pfeifen den nervenden >>Drachen<<, wie Fischer sie liebevoll nannte, zur Ruhe.

>>Nationalismus ist die Pest<< (Joschka Fischer)

Fiedman und Fischer widmen sich vor der Frage nach der Zukunft der europäischen Union, dem Thema des vorhandenen Rechtsruck in Deutschland und in Europa. In anderen europäischen Ländern sind schon längst viele neoliberale, rechte, und nationalsozialistische Parteien an der Macht, der Rechtsruck ist also nicht neu. Woran liegt das? Fast ein Drittel aller Männer in Sachsen habe die nationalsozialistische AfD gewählt. Fischer glaubt, dass es an der Digitalisierung, Globalisierung, den neuen Kommunikationstechnologien und am (deutlichen) Wandel des Frauenbildes liegt. Arbeitsverhältnisse sind prekärer als sonst, die Frau befindet sich in Führungspositionen –obwohl sie noch immer nicht das gleiche Gehalt, wie ein Mann bezieht– und der Mann steht nun nicht mehr allein an der Spitze der Hierarchie, Armut und Reichtumsgefälligkeiten breiten sich aus. Abstiegsängste und Verlustängste sind laut Fischer die Folge. In vielen Ländern, die unter anderem an Europa grenzen, herrscht Krieg, der die Menschen zwingt ihre Heimat zu verlassen und ihre Existenz woanders zu sichern. Doch woher hat die deutsche Bevölkerung Angst, fragt Fischer. Deutschland ist ein reiches Land und eine zentrale Europamacht. Und unser europäisches Versprechen ist eine Wertegemeinschaft, die die Außengrenzen schützt und den europäischen Ländern, einen innenpolitischen Freiraum bietet. Hier betont der ehemalige Grünen Politiker auch, dass Deutschland in dieser Hinsicht sehr durchdachte –beziehungsweise mit nicht moralisch vertretbaren Hintergedanken– Vereinbarungen getroffen hat, in dem diejenigen Staaten, die Außengrenzen haben, für diese Grenzen verantwortlich sind und sie schützen müssen. Nach den Dublin Verordnungen wird Deutschland so nie ein Aufnahmeland für Geflüchtete werden. Zugleich fordert Fischer von Deutschland und den anderen EU-Ländern Solidarität mit den Aufnahmeländern und verlangt zugleich mehr Geld für die Grenzschutzagentur Frontex und einen wirksamen Grenzschutz. Eine Militärische Lösung, muss es aber nicht (unbedingt) sein. Noch mal zurück zu Rechtsruck und Nationalismus.

In vielen Momenten des Gesprächs lässt sich Friedmans strategischer Umgang mit Fragen und ein geschicktes Hinterfragen von gegebenen Antworten erkennen, was die Reihe >>Friedman im Gespräch<< ankündigt, wird jedenfalls eingehalten. Intellektueller Genuss, eine widerspruchsaufdeckende Auseinandersetzung mit den aufgreifen von aktuellen Debatten. Beispielsweise fragt Friedman, wie es sein kann, dass die europäische Wertegemeinschaft sich nur auf die Außengrenzen bezieht und nicht auf die Innenpolitik eines EU-Landes. Fischer betont hier sehr stark, dass die EU nicht gegründet wurde, um ein Staat zu werden, sondern um Kriege zu verhindern. Die europäische Union ist ein demokratischer und rechtstaatlicher Staatenbund. Und wieso sitzen Rassisten und Diktatoren im EU-Parlament?, möchte Friedman wissen. Darauf hin verweist Fischer auf einen begrenzten Spielraum und auf Goethes Worte : >>Am Gelde hängt, am Gelde drängt doch alles<<. Hätte Fischer sich auf Goethes Faust bezogen, hätte Mephisto gesagt: >>Nach Golde drängt, am Golde hängt. Doch alles. Ach wir Armen!<<. Schon bedauerlich, dass es anscheinend keine andere Möglichkeiten gibt als die Pädagogik des Geldes, um von allen (potentiellen) Mitgliedsstaaten ein demokratisches Werte- und Rechtsystem einzufordern. Nach Fischer muss die zukünftige europäische Union einen Solidaritätskurs einschlagen, vor allem mit den Aufnahmeländern, der Euro muss sich europaweit stabilisieren und die Union muss sich einen Identitätsbegriff zulegen. Die Gespräche mit der Türkei, die nur in kürzester Zeit zu einer Diktatur verkommen ist, abzubrechen, hält er nicht für richtig, weil die Türkei ein (schwieriger) Sicherheitspartner was so viel bedeutet, wie: sie hält die Grenzen dicht– ist.

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Und hier treffen schließlich alle Faktoren aufeinander: die Abschottung der Außengrenzen, das Auslöschen von Menschen im Mittelmeer, das Zurückschicken von Menschen in Krisengebiete, das Kooperieren mit Rassisten und Diktaturen, die Rüstungindustrie und das Fördern von Kriegen, der unantastbare freie Markt und schließlich das liebe Geld. – Woher kommt noch mal Rechtsruck?

FRIEDMAN IM GESPRÄCH| Berliner Ensemble| Nächsten Termine:

6.11. KRIEG! Mit Nicole Deitelhoff, 20.00 Uhr, kleines Haus

6.12. POPULISMUS! Mit Robert Menasse, 20.00 Uhr, kleines Haus

27.1. AUSCHWITZ!, 20.00 Uhr

28.2. DEMOKRATIE!, 20.00 Uhr

Karten unter: 030-284-08-155 oder theaterkasse@berliner-ensemble.de

 

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