Frau am Abgrund

An der Komischen Oper in Berlin feiert Aribert Reimanns zeitgenössische >>Medea<< seine Deutsche Erstaufführung.

Der Komponist Aribert Reimann hat sich mit dem griechischen Mythos der Medea nach Franz Grillpanzer auseinandergesetzt, in dem Medea Geflüchtete ist. Grillpanzer beschreibt seine Medea als schutzbedürftige Frau, die ihre Heimat, ihren Mann und zuletzt ihre Kinder verliert. Genau wie in Euripides >>Medea<<, verliebt sich die zauberkundige Königstochter Medea in den Griechen Jason für den sie das Goldene Vlies ihres Vaters stiehlt und somit Verrat an ihrer Familie begeht. Gemeinsam mit Jason verlässt sie ihre Heimat und bekommt auf einer Irrfahrt mit ihm zwei Kinder. Angekommen in Korinth versucht Medea sich der griechischen Kultur anzupassen, wird aber aufgrund ihrer barbarischen Herkunft mit Vorurteilen konfrontiert und ihr Ehemann Jason fühlt sich immer mehr zu seiner Jugendliebe Kreusa hingezogen; sodass Jason und ihre beiden Kinder sich von ihr entfremden und sich schließlich von ihr abwenden. Während der Dichter Euripides Medea als rachsüchtige Zauberin darstellt, beschreibt der Schriftsteller Grillpanzer sie als Ausgestoßene. Medea ist eine schutzbedürftige Fremde, die während ihres Asyls Mann und Kinder verliert, weil ihre neue Heimat sie nicht annimmt und wegen ihrer Herkunft ausgrenzt.

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Bewusst hat sich der Komponist Reimann für Grillpanzers >>Medea<< (UA Wiener Staatsoper 2010) entschieden, weil er die antike Mythenfigur in Analogie mit einer der größten Krisen unserer Zeit setzen wollte, in der Menschen ihre Heimat verlassen müssen. In der neuen fremden Heimat angekommen, werden sie nicht akzeptiert und ausgeschlossen. Seine Oper fokussiert sich auf die innere Not Medeas und das verlorene Recht der Fremden, die aus Verzweiflung die Geliebte ihres Mannes Jason und ihre beiden Kinder umbringt. Die Stimmlagen der einzelnen Sänger sind ausgereifte Gesangslinien mit einzelnen Klangkontrasten, was der Zuschauer besonders gut am Countertenor Herold, der der Bote des Gerichts ist, erkennt. Herold gespielt von dem Sänger Eric Jurenas hat eine unfassbar sonderbare und schöne Sopranlage, die sich von allen anderen Stimmen abhebt und den Klangkontrast zum Orchester besonders gut herauskristallisiert. Orchester und Sänger verkörpern gemeinsam etliche Spannungsmomente, in denen die Tragödie Medeas emotional empfindbar wird. Beispielsweise wird Medeas (Nicole Chevalier) Gesangslage aggressiver und höher, wenn sie auf Jasons Geliebte Kreusa (Anna Bernacks) trifft, im Gegensatz zu Kreusa, die eher weich und sanft wikt. Auch die Bühne (Johannes Schütz) verkörpert Medeas Innenleben und ihre psychische Verfassung. Als Medea von Jasons Betrug erfährt, ist sie zu tiefst erschüttert, völlig zerrissen und entfremdet von sich selbst. Sie verliert ihren letzten Halt in der fremden Heimat. Der Bühnenbildner Schütz vergegenwärtigt Medeas absoluten Heimatsverlust mit dem vollständigen Verlust des auf der Bühne befindenden Hauses, das in seinen Umrissen aus Seilen besteht. Mit dem Riss des Seils, zerreißt sich auch Medeas Seele. Medea befindet sich nun am Abgrund ihrer Psyche und verfällt in einem psychotischen Zustand, in dem sie ihre Kinder tötet, um sich selbst zu spüren. Sie will ihre und Jasons gemeinsame Identität auslöschen und aus der absoluten Selbstentfremdung zurück zu sich selbst finden.

Das hochkomplexe Drama >>Medea<< verarbeitet der Berliner Komponist Reimann sehr beeindrucken. Jegliche Spannungsmomente sind erfühlbar und die Klänge verleiten zu Empathien gegenüber Medea. Der Zuschauer lernt Medea über ihre Emotionen verstehen und verurteilt sie am Ende nicht für den Mord an ihren Kindern. Vielmehr werden die Bewohner von Korinth schuldig gesprochen, weil sie Medea nicht akzeptiert, sondern ausgestoßen und in einen seelischen Abgrund getrieben haben, welcher für den Mord verantwortlich ist. So lobenswert Komposition und ihre konzertante Aufführung sind, um so weniger beeindruckend ist die Inszenierung von Benedict Andrews. Im Kontrast zu Reimanns Komposition ist Andrews Inszenierung eher einfallslos und kann nicht mit der dramatischen Komposition gleichziehen.

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MEDEA | Komische Oper| 25.5., 5.6., 20.6., 25.6. und 2.7., 15. Juli 2017 jeweils um 19 Uhr| Karten unter: 030-47 99 74 00 oder karten@komische-oper-berlin.de

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